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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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ich«, erwiderte Quinn ungeduldig.
    »Aber warum?«, wollte Allie wissen.
    »Man muss sie durchqueren, um von der einen Seite des Sunds auf die andere zu gelangen.«
    »Eure Eltern haben eine Segelpartie bei Mondschein gemacht«, erklärte Dana. »Es war eine herrliche, sternenklare Nacht. Sie hatten vermutlich guten Wind von achtern, waren in Richtung Orient Point unterwegs …«
    »Mommy hat immer gesagt, das sei das Schönste am Segeln«, meinte Allie. »Auf den Schwingen des Windes fliegen, wohin man will.«
    »Das ist typisch für deine Mutter«, flüsterte Dana.
    »Was war mit der Schlepptrosse? Sag endlich, was passiert ist.« Quinn ließ nicht locker.
    »Sie müssen in einen Schleppzug geraten sein und haben die Trosse erwischt.«
    »Aber ihr Boot war groß«, warf Quinn ein. »Viel größer als die
Mermaid
. Sie hätten jedes blöde Tau kappen können.«
    »Aber keine Schlepptrosse«, erwiderte Sam sanft. »Sie besteht aus Stahl oder einem dicken Hanfseil, Quinn, oft mit dem Durchmesser eines Baumstammes. Du hast es bei dem Schiff gesehen, das gerade an uns vorübergefahren ist.«
    »Das hätten sie doch gesehen!« Quinn redete hastig, fuchtelte mit den Händen. »Wenn es so dick gewesen wäre, hätte Daddy aus dem Wind gedreht und den Schleppzug vorbeigelassen. Und was ist mit den Markierungslichtern, von denen du uns erzählt hast – die anzeigen, wie lang eine Schlepptrosse ist?«
    »Schlepper sind mit Positionslampen ausgestattet«, mischte sich Dana ein, die der gleichen Meinung war wie Quinn. »Die beiden hätten die rotierenden Blitze gesehen …«
    »Wir wissen nicht, wie es passiert ist. Wir waren nicht dabei«, sagte Sam.
    »Aber ich muss es wissen.« Quinn war so wütend, dass ihr die Tränen kamen.
    Dana wollte sie an sich ziehen, aber sie riss ihren Arm los. Sie funkelte Sam an und wartete auf seine Erklärung.
    »Mein Bruder ist Experte auf diesem Gebiet.« Sams Blick war mitfühlend. »Er ist Ozeanograph wie ich, aber er verdient seinen Lebensunterhalt damit, rund um den Globus nach Wracks zu tauchen. Er hat mir einen guten Rat gegeben, Quinn, als ich genau wie du mit meinem Latein am Ende war.«
    »Und welchen?«
    »Dass es dem Menschen nicht gegeben ist, alles zu wissen. Dass wir uns nach besten Kräften um Erkenntnis bemühen müssen, aber auch spüren sollten, wann es an der Zeit ist, eine Sache auf sich beruhen zu lassen, unsere Hoffnung zu Grabe zu tragen.«
    Dana beobachtete Quinn mit zugeschnürter Kehle. Ihr war klar, dass Sam auf eine Grabstätte anspielte, in der Lily und Mark die letzte Ruhe finden sollten. Quinn schloss die Augen, zwei Tränen quollen unter den Lidern hervor.
    »Du hast dich nach besten Kräften bemüht, Liebes«, sagte Dana. »Du hast Sam mit den Ermittlungen beauftragt, und er hat dir versichert, dass es ein Unfall war. Er wird seine Erkenntnisse an die Küstenwache und an die Versicherung weiterleiten. Oder, Sam?«
    »Ja, das habe ich vor.«
    »Du brauchst dir den Kopf nicht mehr zu zerbrechen – eure Eltern hätten euch niemals verlassen.«
    »Nie im Leben«, sagte Allie und zog an Quinns Hand.
    »Mein Bruder hat Recht. Es ist dem Menschen nicht gegeben, alles zu wissen. Wir haben uns nach besten Kräften bemüht, Quinn, und nun ist es an der Zeit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.«
    Quinn stand wutentbrannt in der Mitte des Decks, ihre Zöpfe schossen in die Höhe wie Lichtblitze. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt; falls sie die Berührung ihrer Schwester spürte, gab sie es nicht zu erkennen. Tränen liefen über ihr gebräuntes, sommersprossiges Gesicht. Sie weigerte sich, die Augen zu öffnen, und murmelte so leise vor sich hin, dass man ihre Stimme kaum hörte.
    »Ich bin nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen, Mommy, Daddy. Ich werde nicht aufgeben.«
     
    Am Nachmittag, als Sam seine Passagiere am Moonstone Dock abgesetzt hatte, verfrachtete Dana die Mädchen in ihren Wagen und ging noch einmal an Deck, um mit ihm zu reden. Matt und Terry waren im Ruderhaus, startbereit. Sam hielt die Springleine in der Hand, wollte sie gerade lösen und ablegen.
    Das Schiff stieß gegen den morschen alten Steg. Andere Boote fuhren langsam vorbei, getreu der Regel, in ihrem Kielwasser keine hohen Wellen zu erzeugen. Im goldblauen Licht der Sonne waren Sams Augen grün, hatten die gleiche Farbe wie die Binsen in den Marschen hinter ihnen. Er sah Dana an, als könnte er bis auf den Grund ihrer Seele blicken und wüsste genau, was ihr dieser

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