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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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mit: Tante Dana erklärte ihr, dass Mark in eine Schlepptrosse geraten sei, ein schrecklicher Unfall, der eigentlich nicht passieren dürfte. Zuerst schnalzte Grandma ungläubig mit der Zunge, dann schluchzte und schniefte sie leise vor sich hin, murmelte immer wieder »Mein Baby, mein Baby«, so dass Tante Dana sie trösten musste.
    Quinn sah sich den selbst gedrehten Videofilm an. Ihre Mutter – Grandmas Baby –, lächelte in die Kamera und tanzte mit ihrer Familie. Es war der Vineyard Reel – den Namen hatten sie erfunden, in Anlehnung an den schottischen Volkstanz –, und sie hatten sich untergehakt und sich zur Melodie der Wellen und des Windes gegenseitig im Kreis herumgeschwenkt.
    »Mein Baby«, flüsterte Quinn laut, als sie zusah, wie sie von ihrem Vater an ihre Mutter weitergereicht wurde. Sie spürte wieder die Arme ihrer Mutter, das Sonnenlicht, das Medaillon und den kleinen Schlüssel, die bei der Übergabe gegen ihren Scheitel prallten.
    Sie waren deutlich im Film zu sehen, fingen das Sonnenlicht ein: das silberne Medaillon, das Tante Dana ihrer Mutter geschenkt hatte, und der winzige Schlüssel, den ihre Mutter an einer Kette um den Hals getragen hatte. Silber und Gold: sie passten nicht zusammen, aber sie gehörten zusammen.
Mein kostbarster Besitz, abgesehen von meinen Töchtern
hatte ihre Mutter von dem Medaillon und dem Schlüssel gesagt.
    Ihre Mutter hatte auch immer Tagebuch geführt: der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Sie hatte ihr erklärt, dass es nicht nur Spaß mache, alles aufzuschreiben, sondern ihr auch ein Bedürfnis sei. Wenn es einem in Fleisch und Blut übergegangen sei, könne man die Einträge irgendwann nachlesen, mit dem gebührenden Abstand, so dass einem viele Dinge klar würden.
    Von ihrer Mutter hatte sie gelernt, dass man Tagebücher nicht offen herumliegen ließ. Quinn kannte das geheime Versteck ihrer Mutter nicht, aber selbst wenn, hätte sie ihr nie nachspioniert. Für kein Geld der Welt. Wie schlimm die Situation auch sein mochte und wie groß ihre Neugierde, sie käme nie im Leben auf die Idee, das Tagebuch ihrer Mutter zu lesen. Und sie hatte erwartet, dass gerade ihre Mutter, die wusste, wie kostbar ein Tagebuch war, Quinns mit mehr Respekt behandeln würde.
    Aber das war nicht der richtige Augenblick für Schuldzuweisungen oder Wut. Was geschehen war, gehörte ein für alle Mal der Vergangenheit an und ließ sich nicht mehr ändern.
    »Grandma, Tante Dana«, rief Quinn, als ihre Mutter für die Kamera tanzte, während das Sonnenlicht Schlüssel und Medaillon in seinen einzigartigen Glanz tauchte. »Kommt doch rüber, das Video anschauen!«
    »Gleich, Liebes«, sagte Grandma.
    »In einer Minute, Quinn«, rief Tante Dana, dann wurde ihre Stimme wieder leiser, als sie Grandma von dem Tauchgang erzählte und ihr Fragen über Daddys Bauprojekte stellte, aber gleichzeitig betonte, es sei vielleicht an der Zeit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    Als Quinn den Schlüssel am Hals ihrer Mutter anblickte, wusste sie, dass sie dazu außer Stande war. Sie konnte die Sache erst dann auf sich beruhen lassen, wenn ihre Fragen zufrieden stellend beantwortet waren. Am Fuß der Klippen von Gay Head tosten die Wellen, schnell und weiß wie die Pferde der Meerjungfrauen. Quinn starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm, meinte, die Meerjungfrauen direkt hinter dem Kopf ihrer Mutter zu sehen, die mit Quinn auf ihren Füßen im Kreis tanzte.
    »Ich möchte zurück«, flüsterte sie.
    »Wohin?« Allie blickte hoch.
    »Nach Martha’s Vineyard.«
    »Wozu brauchen wir das ganze Wasser ringsum? Wir haben doch den Sund.«
    »Du bist dort ja auch nicht geboren.« Quinns Stimme war so traumverloren wie das Gefühl, das sie in ihrem tiefsten Innern hatte. Sie sehnte sich danach, die idyllische Insel wiederzusehen, bevor sie völlig zugebaut und zersiedelt war. Sie betrachtete die Gesichter ihrer Mutter und ihres Vaters, prägte sie sich ein.
    »Und hast dort nicht mit ihnen gelebt.«
     
    An diesem Abend, als die Mädchen im Bett lagen und Mondlicht das Meer im Osten überflutete, zog Dana ihren Bademantel an und ging in den Garten hinaus. Wieder einmal konnte sie nicht einschlafen. Sie wünschte sich, es wäre Donnerstag.
    Sie wollte Sam wiedersehen.
    Sie wollte mit ihm reden, mit ihm im silbernen Mondschein sitzen und sich über eine andere Nacht wie diese unterhalten. Wie war es möglich, dass Mark die Schlepptrosse übersehen hatte? Dana blickte auf den Sund

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