Schilf im Sommerwind
hinaus, auf das helle Licht, das sich über die Wellen ergoss; was für ein Gefühl mochte es sein, wenn man beim Segeln den Boden unter den Füßen verlor und das Boot im Meer versank?
Sie hätte es gerne von Lily gehört, und sie wollte mit Sam darüber sprechen. Doch bis dahin konnte sie nur eines tun: in den Schuppen gehen und mit Pinsel und Farbe Licht ins Dunkel bringen. Das war ihre Sprache, ihre Art, Rätsel zu lösen. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit der Leinwand zu und machte sich an die Vollendung ihres Werks.
Das dunkle purpurfarbene Wasser, gekrönt von Wellen mit zartem goldenen Rand. Dana betrachtete prüfend das Bild, ergänzte hier und da einen Pinselstrich. Sie arbeitete an den Pflanzen, die sich darunter befanden, Algen und Seegras. Die Meerjungfrau in ihr Werk einbindend, fragte sie sich, wie sie jemals geglaubt hatte, sie brauche Monique als Modell. Sie merkte, dass sie Lilys Gesicht malte.
In dem dunklen Schuppen wurde ihre Schwester wieder lebendig. Die Gesichtszüge flossen aus ihrem Pinsel, und sie lächelte Dana mit strahlenden Augen an. Die Haare umrahmten locker ihr hübsches Gesicht, so wie es Dana jeden Tag vor Augen hatte, wenn sie Quinn und Allie ansah.
»Sag mir, was ich wissen muss«, murmelte Dana und malte konzentriert.
Auf dem Dach des Schuppens raschelten Blätter.
»Was muss ich wissen, um Quinn zu helfen? Mit Allie ist alles in Ordnung«, flüsterte sie. Ihr Pinsel flog über die Leinwand. Blauschwarze Wellen, klar wie Glas. Ein silbernes Medaillon, das sich im Tang verfangen hatte. »Aber um Quinn mache ich mir Sorgen. Sie kann dich nicht loslassen.«
Eine Eule flog in den Schuppen, zu ihrem Schlafplatz in den Dachsparren. Dana erschrak nicht einmal; sie war in Gedanken versunken, nahm kaum Notiz von ihr.
»Sie besteht darauf, dass deine Asche auf dem Kaminsims bleibt. Deine und Marks. Sie ist überzeugt, dass an der Geschichte etwas faul ist und wir herausfinden müssen, was; vorher wird sie nicht bereit sein, das Kapitel abzuschließen. Ach Lily, ich fürchte, sie hat Recht.« Danas Hand glitt über den Schlüssel an ihrem Hals, und fieberhaft fügte sie in das Bild einen winzigen goldenen Schlüssel, der im Sand lag. »Was ist damals geschehen? Was habt ihr getan, Mark und du?«
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19
A ls der Donnerstag näher rückte, hefteten sich die Mädchen an Danas Fersen. Es war geplant, dass Martha nach Hubbard’s Point kommen und über Nacht bleiben sollte, und Marnie hatte sich bereit erklärt, bei Bedarf zusätzlich zur Verfügung zu stehen. Quinn machte in allen Punkten Einwände geltend.
»Es ist eine Zumutung für Grandma«, protestierte sie, als Dana sich ankleidete. »Du weißt, wie die salzige Luft ihrer Arthritik zusetzt.«
»Das heißt Arthritis«, verbesserte Dana sie. »Aber es ist nett, dass du so besorgt um sie bist.«
»So bin ich nun mal. Und wegen Mrs. Campbell habe ich auch Bedenken. Sie passt dauernd auf uns auf, und ich glaube, es wird ihr langsam zu viel. Mommy und sie haben sich abgewechselt – hin und wieder waren ihre Töchter bei uns.«
»Ein gutes Argument. Wir werden sie entlasten und Cameron und June zu uns einladen, wenn ich morgen zurückkomme.«
»Morgen.« Quinn verdrehte die Augen. »Ich fasse es nicht, wie kannst du uns hier lassen? Was ist, wenn etwas passiert? New York ist viel zu weit entfernt, dorthin reist man nicht alleine. Du solltest uns mitnehmen, Tante Dana. Dann sind wir in der Nähe, wenn du uns brauchst – wir beschützen dich.«
Dana lächelte, gerührt, dass Quinn um ihr Wohl besorgt war – statt um das eigene. In Quinns Welt geschahen den Erwachsenen, den Eltern, schlimme Dinge. Dana in ihrem schwarzen Catata-Kostüm, für jeden Anlass in ihrer Kunstwelt passend, ergriff Quinns Hand und zog sie zur Bettkante.
»Ich bin doch nur einen Tag weg.«
»Einen Tag und eine Nacht, und morgen auch noch etliche Stunden«, grollte Quinn. Allie, die bisher geschwiegen hatte, rollte unter dem Bett hervor und packte Danas Knöchel.
»Fahr nicht«, bat sie.
»Na so was, da ist ja das kleine Mädchen, das unter dem Bett lebt.« Dana hob sie hoch und setzte sie auf das Kopfkissen.
»Was ist mit deinem Bild?«, sagte Quinn. »Deine Galerie-Besitzerin wird verstehen, dass die Arbeit Vorrang hat – sie wird sogar darauf bestehen, dass du hier bleibst und malst. Gib mir mal das Telefon – ich rufe sie an und sage ihr, wie schön es ist, dein bisher bestes Bild.«
»Jetzt hört mal zu, ihr zwei.« Dana holte tief
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