Schilf im Sommerwind
Dana.«
»Ja, das hat sie …«
»Das merkte ich schon damals in dem Sommer, als ich euch zum ersten Mal begegnete. Ich sah, wie ihr miteinander umgegangen seid, und wusste, so sollte es sein. Ihr beide habt mir gezeigt, was Liebe bedeutet.«
»So war Lily. Voller Liebe zu Menschen, Tieren, der Landschaft, in der sie lebte …«
»Du auch. Du warst diejenige, die mich in euren Kreis aufnahm, die erkannte, dass mir Liebe fehlte. Genau wie du es bei Quinn und Allie erkannt hast. Du könntest längst wieder in Frankreich sein, aber du bist geblieben, ihretwegen. Du wärst nicht in der Lage gewesen, sie aus ihrem Zuhause herauszureißen.«
»Danke. Das ist ein wunderbares Kompliment.« Dana umfasste seine Hände. Bei Sam hatte sie stets das Gefühl, ein besserer Mensch zu sein. Er sah sie auf eine Weise, wie sie sich selbst gerne sehen wollte, und dadurch vollzog sich in ihrem Innern eine tief greifende Wandlung, die sich auch nach außen offenbarte.
Er bestätigte es ihr mit seinem Körper, und sie nahm das Geschenk an und gab es zurück. Draußen, hoch über der Stadt, leuchteten die Sterne. Hier unten hörte man das Raunen der Flüsse, das Rauschen des Verkehrs, und irgendwo in nicht allzu weiter Ferne riefen die Meereswellen sie zurück, entflammt vom Meeresleuchten und angefüllt mit vergangenen und künftigen Geheimnissen.
Sam und Dana hielten einander umschlungen; sie wussten, dass sie in ebendiesem Augenblick nirgendwo anders sein wollten.
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22
D er nächste Morgen dämmerte herauf; es war schwül, kein Lüftchen regte sich. Der Himmel im Osten glühte, und Martha dachte an den alten Spruch: Himmelsrot am Morgen, macht dem Seemann Sorgen. Sie stellte für Allie die Cheerios auf den Tisch und holte für Quinn das Granola aus dem Schrank. Während sie im Garten arbeitete, wunderte sie sich, warum Quinn noch nicht aufgestanden war. Es sah ihr gar nicht ähnlich, so lange zu schlafen.
»Wann kommt Tante Dana nach Hause?«, fragte Allie.
»Mit dem Fünf-Uhr-Zug«, erwiderte Martha und rupfte ein paar Unkrauthalme aus. Sie blickte abermals zum Himmel; er war inzwischen wolkenlos und blau, aber der rote Streifen am Horizont ließ befürchten, dass ihnen irgendwann im Laufe des Tages ein Wetterumschwung bevorstand.
»Ist Quinn immer noch in Schwierigkeiten?«
»Schwierigkeiten würde ich nicht sagen. Aber ich hätte sie für klüger gehalten.«
»Du bist wütend wegen des Schuppens.«
»Ich verstehe einfach nicht, wie sie dazu kommt, ein riesiges Viereck aus der Nordwand auszusägen, ohne einen Erwachsenen auch nur zu fragen! Was mag ihr als Nächstes einfallen, wenn sie schon nicht davor Halt macht, den Schuppen zu verunstalten?«
»Sie hat es für Tante Dana getan«, sagte Allie. »Damit sie mehr Licht auf der Nordseite hat und hier bleibt.«
»Bleibt?«
»Hier, bei uns. Quinn hat Angst, dass sie nach Frankreich zurück will.«
Mit zusammengepressten Lippen zupfte Martha das Unkraut zwischen Thymian und Salbei heraus. Die armen Kinder dachten, man würde sie bald wieder im Stich lassen. Sie selbst war ein Glückspilz; ihre Eltern waren beide zeitlebens kerngesund gewesen und neunzig Jahre alt geworden. Sie konnte nicht nachvollziehen, welche Gedanken ihren Enkelinnen durch den Kopf gingen, die befürchteten, nach dem Verlust der Eltern auch noch ihre Tante zu verlieren.
»Sie hat es nur gut gemeint«, sagte Allie, die Schüssel mit Cheerios in der Hand. »Sie wollte dich bestimmt nicht ärgern.«
»Mein Ärger ist längst verraucht. Mr. Nichols wird bald kommen, um die Konstruktion zu überprüfen, und dafür sorgen, dass der Schuppen nicht einstürzt. Ich weiß, dass Quinn es gut gemeint hat. Wenn sie gestern Abend nicht zum Little Beach gerannt wäre, hätte ich es ihr sagen können.«
»Da geht sie immer hin«, sagte Allie, als stelle sie eine ebenso einfache wie unumstößliche Tatsache fest.
»Tu mir einen Gefallen, Allie, ja? Weck deine Schwester auf und sage ihr, dass ich mit ihr reden möchte.
Bevor
sie sich wieder auf die Socken macht und den ganzen Tag am Little Beach verbringt.«
Sam und Dana wachten eng umschlungen auf. Danas Augen waren geschlossen, doch ihr Herz schlug schneller, als ihr bewusst wurde, wo sie sich befand. Sams Körper fühlte sich stark, aber völlig entspannt an – als wüsste er, dass sie füreinander geschaffen waren. Sie empfand es genauso, und es gefiel ihr, wie Sam sie küsste, ihr über die Haare strich und sie liebte, langsam und zärtlich.
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