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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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nur wenige Häuser. Ich fand den Leuchtturm …«
    Dana sah ihn wieder vor sich, den dunkelroten Backstein-Leuchtturm auf der Düne, umgeben von Besengras. Aquinnah, wie Gay Head früher hieß: hohe Ebene. Sie sah die Klippen aus dem leuchtenden, tonhaltigen Sedimentgestein, das aus dem blauen Meer aufragte. Lily und sie hatten mit Quinn am Strand unterhalb der Felsen gespielt, die rot und orangefarbenen Tonablagerungen betrachtet, die hundert Millionen Jahre alt waren, und sich eingebildet, Fossilien von prähistorischen Walen, Delphinen, Rotwild und Wildpferden darin zu entdecken.
    »Und dann sah ich euer Haus. Ich wusste, das musste es sein, weil Segel auf den Büschen zum Trocknen ausgebreitet waren …«
    »Lily und ich hatten die
Mermaid
auf die Insel mitgenommen.«
    »… und weil du eine Art Zelt aufgebaut hattest, zum Malen. Es bestand aus einer Segeltuchplane, an allen vier Ecken mit Schnüren straff gezogen, deren Enden von den Ästen der Bäume hingen, und darin war eine Leinwand. Eines deiner Unterwasser-Bilder, das Erste, das ich zu Gesicht bekam.«
    »Ich habe es heute wiedergesehen.« Dana dachte an den Besuch in Vickies Galerie.
    »Ein Mädchen, das in einem Zelt malt, dachte ich damals. Und denke ich heute noch. Ein Zelt, ein Schuppen. Eine echte Künstlerin – alles, was du brauchst, hast du in dir.«
    »Warum hast du dich damals nicht gemeldet? Nachdem es dich so viel Mühe gekostet hatte, mich ausfindig zu machen? Ich hätte mich gefreut, dich wiederzusehen.«
    »Ich habe dich wiedergesehen. Am Strand.«
    »An welchem Strand?«
    »Zacks Cliff.«
    Dana lächelte; es fiel ihr schwer, sich das Lachen zu verkneifen. »Der Nacktbadestrand.«
    »Genau.«
    Dana lachte. »Kein Strand, an dem Lily und ich waren, ist davon verschont geblieben, zum FKK -Strand umfunktioniert zu werden.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Ihr seid Künstler, Freigeister. Sieht man ja schon an all den Akt-Malklassen.«
    »Wenn unsere Professoren keine Modelle fanden, stellten wir uns reihum zur Verfügung, unentgeltlich. Wir amüsierten uns darüber, dass wir so gar nicht dem Bild des sittenstrengen Neuengländers entsprachen. Das puritanische Gen muss uns irgendwann abhanden gekommen sein. Vermutlich habe ich mich deshalb in Europa auf Anhieb so heimisch gefühlt … Lily genoss es auch immer, mich dort zu besuchen. Wir badeten splitterfasernackt im Meer –«
    »Du warst damals nicht mit Lily am Strand.«
    »Nein?«
    »Als ich dich auf Martha’s Vineyard sah, warst du in Begleitung eines Mannes.«
    Dana überlegte. Es war lange her, und seither hatte es einige Männer in ihrem Leben gegeben. Vor zehn Jahren, in Gay Head, hatte sie eine Affäre mit Christopher Laster gehabt. Der Bildhauer aus Brooklyn, der den Sommer in Menemsha verbrachte, war hochbegabt und ungemein romantisch – beides Eigenschaften, die sie angezogen hatten wie ein Magnet. Aber die Beziehung war nicht von Dauer gewesen. Soweit sie sich erinnerte, hatte sie nicht einmal bis zum Ende des Sommers gehalten.
    »Er war nicht wichtig«, sagte sie.
    »Das konnte ich nicht wissen.«
    »Kein Mann war wichtig. Ich weiß, es klingt gefühllos, aber damals zählte nur eines für mich, und das war Malen.«
    »Du warst nackt in der Brandung. Und so schön, dass ich meinen Blick nicht abwenden konnte. Er war auch dort, aber ich nahm ihn kaum wahr. Ich hatte nur Augen für dich …«
    »Sam …«
    Die Musiker begannen zu spielen, und der Lärm erstarb. Dana konnte den Blick nicht von Sam lösen. Seine Augen waren bekümmert, und sie versuchte sich vorzustellen, was sie gesagt oder getan hätte, wenn er an den Strand gekommen wäre und sie gerufen hätte, während sie draußen in den Wellen war.
    »Ich habe es nie vergessen«, sagte er, die Musik übertönend.
    »Ich wünschte …«
    »Komm.« Er legte den Arm um sie. »Lass uns gehen. Es ist unhöflich, zu reden, während sie spielen, und wir haben uns noch einiges zu sagen.«
    Doch sobald sie draußen waren, schienen sie um Worte verlegen. Sam legte den Arm um sie, und Dana schmiegte sich an ihn. Sie schlenderten durch Greenwich Village, vorbei an den Backsteinhäusern, die im Licht der Straßenlaternen rosig wirkten. In den Cafés herrschte Hochbetrieb, aber keiner von beiden machte Anstalten, stehen zu bleiben. Als sie die 6th Avenue erreichten und überquerten, wusste Dana, dass sie ihn in ihr Hotel mitnehmen würde.
    Das kleine Hotel lag in der Mitte der 11th Street, zwischen 5th und 6th Avenue. Es

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