Schilf
schwerstes Geschütz aufgefahren und die Hände herausfordernd in die Hüften gestützt. Während sie spricht, reißt sich der Oberstaatsanwalt einzelne Haare aus, betrachtet sie einen Augenblick und lässt sie zu Boden schweben. Dabei bewegt er unablässig die Kiefer, als würde er auf etwas herumkauen. Sobald Rita fertig ist, stemmt er sich stöhnend aus seinem Sessel und schließt das Fenster. Bei dem, was er ihr zu sagen hat, braucht er keine Zuhörer.
»Passen Sie auf«, sagt Rita jetzt durchs Telefon. »Bei vollem Geständnis keine U-Haft für achtundvierzig Stunden. Mehr war nicht zu machen. Ich musste beim Herrgott schwören, dass keine Fluchtgefahr vorliegt.«
»Wenn Fluchtgefahr bestünde, wäre er längst weg. Es ist nicht weit bis in die Schweiz.«
»Wenn das so einfach ist«, sagt Rita beleidigt, »warum haben Sie es dem Herrn Staatsanwalt dann nicht selbst erklärt?«
Eine dicke Frau mit rot gefärbten Haaren und rasierten Augenbrauen schwimmt in ihrer Schürze heran und stellt eine Tasse auf den Tisch.
»Normalerweise ist hier Selbstbedienung«, sagt sie.
»Weil es doch Ihr Fall ist, Rita-Kind«, sagt Schilf. »Hervorragende Arbeit. Sie werden es in null Komma nichts zur Polizeipräsidentin bringen.«
Er legt das Doppelte des genannten Betrags in den ausgestreckten Handteller der Thekenfrau und sieht zur Seite, um ihrem tödlichen Blick auszuweichen. Der Kaffee schmeckt überraschend gut. Überhaupt ist das ein guter Tag. Der Kommissar tut das Richtige und bekommt, was er will.
»Schleimer«, sagt Rita. »Natürlich ist das mein Fall. Und zwar der letzte, bei dem Sie mir Steine in den Weg legen.«
»Glauben Sie mir, ich bin nur noch im Auftrag des Herrn unterwegs. Sie werden nie wieder das Pech haben, meine Hilfe annehmen zu müssen.«
»Freut mich zu hören.«
Ritas Schnauben würde sich der Kommissar inzwischen am liebsten in Dosen füllen. Als Wegzehrung für schlechte Zeiten.
»Und jetzt her mit dem Kerl«, sagt sie.
»Woher wissen Sie, dass es ein Mann ist?«
»Frauen köpfen ihre Opfer nicht.«
»Das sieht das Neue Testament anders.«
»Falsch, Schilf. Salome hat Johannes köpfen lassen . Das war bestenfalls mittelbare Täterschaft. Oder bloß Anstiftung.«
»Bibelfest«, sagt Schilf anerkennend. »Dazu mit Grundkenntnissen im deutschen Strafrecht. Was wäre übrigens, wenn Salome den Mörder zu der Tat erpresst hätte?«
»Das ist hier kein Strafrechtsseminar«, knurrt Rita.
»Nötigungsnotstand«, sagt Schilf. »Nach herrschender Meinung ein Entschuldigungsgrund.«
»Wer – war – es?«
Schilf meint zu hören, wie Ritas Außenminister bei jedem Wort die Luft mit Handkantenschlägen zerteilen. In der Ausbildung war sie ein verblüffend treffsicherer Schütze. Ihren Händen, findet der Kommissar, ist das anzusehen. Gern würde er einmal vor ihr stehen, während sie, die Beine schulterbreit auseinandergestellt und die Arme ausgestreckt, mit einer Walther PPK auf ihn zielt. Die Kugel würde ihm ein Loch in die Stirn bohren, das Vogelei im Frontallappen durchstoßen und schmerzlos tief ins Gehirn dringen. Schilf sieht sich auf die Knie fallen und zur Seite kippen, wie er es im Lauf seines Berufslebens einige Male bei anderen Männern beobachtet hat. Durch das Loch in der Stirn würde er ausfliegen, freigesetzt durch Ritas Hand, und sich endgültig mit dem zeit- und raumlosen Geflecht des Universums verbinden, eingegangen in jenen Zustand, den der Volksmund Vergangenheit nennt.
Ein schöner Traum, denkt der Kommissar.
»Der Physiker«, sagt er. »Der mit dem entführten Sohn.«
Er zündet ein Zigarillo an. Die ersten Züge kann er in absoluter Ruhe genießen. Nicht einmal Atemgeräusche dringen aus dem Telefon.
»Gut«, sagt Rita schließlich. Ihre Stimme klingt geschäftsmäßig, wenn auch ein wenig belegt. »Ich danke Ihnen.«
»Warten Sie.« Schilf nimmt das Zigarillo aus dem Mund und beugt sich vor, als säße seine Gesprächspartnerin auf der anderen Seite des Tischs. »Der Mann wurde erpresst.«
»Immerhin«, sagt Rita langsam, »hat die Sache anscheinend nichts mit dem Medizinerskandal zu tun.«
»Das wissen Sie noch nicht«, sagt der Kommissar scharf. »Haben Sie mir zugehört? Ich sagte: Sebastian wurde erpresst.«
»Der Polizeipräsident wird weinen vor Glück.«
»Rita!« Der Kommissar bemerkt kaum, dass die Frau in der Schürze schon wieder neben ihm steht. »Haben Sie sich gefragt, warum ich Ihnen den Namen nenne? Damit Ihnen der Fall nicht entzogen
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