Schillerhoehe
gelegt, damit ein großer Bericht über den Doppelmord von Marbach erscheinen konnte. Jetzt fühlte er sich müde und schlapp, wollte sich das aber nicht eingestehen. Ein anstrengen der Arbeitstag mit mehreren Terminen lag vor ihm, in der Redaktion galt er inzwischen als feste Größe.
»Dolles Ding!«, lobte ihn Gustav Zorn in der mor gendlichen Konferenz. »Machen Sie weiter so, mein lieber Santos, dann stehen Ihnen in diesem Haus alle Türen offen.«
Dass die Türen für Überstunden immer offen stan den, hatte bereits seine Freundin Julia festgestellt. Aber auch wenn er sich über die Doppeldeutigkeit des Zorn'schen Lobes im Klaren war, so bauten ihn die Worte des Chefs dennoch auf.
»Na ja, vielleicht lässt sich noch ein Nachdreher zu dem Fall schreiben«, verhieß Luca in der Konferenz. »Ich würde noch mal ganz gerne mit den beiden Kom missaren reden, weil wir das mögliche Tatmotiv dieses Schäufele noch nicht endgültig geklärt haben.«
»Stimmt, das ist, gemessen an der Gesamthandlung, etwas knapp dargestellt«, gab ihm Zorn recht. »Die ser Schäufele scheint ja einen Mordshass auf die bei den Scharfs gehabt zu haben. Wie hat es der Staatsan walt gestern ausgedrückt? Schäufele, eine missbrauchte Seele startet den Overkill.«
Etwa zur selben Zeit saßen Peter Struve und Melanie Förster im Café Schiller beim Geburtshaus des Dich ters in der Niklastorstraße zusammen.
»Ganz nett ist es bei Schillers«, meinte Melanie Förs ter lächelnd. »Ich nehme an, wir sind nicht hier, um uns die schöne Marbacher Altstadt anzuschauen, oder?«
»Ich hoffe, Sie haben sich gut erholen können, nach der ganzen Aufregung.« Peter Struve lehnte sich zurück.
»Na ja, der Schäufele ist uns praktisch in die Arme gelaufen.«
»Wahrscheinlich hatte er Angst, dass wir seine kleine Waffensammlung finden.«
»Eine Angst, die zugegebenermaßen nicht unberech tigt war«, bestätigte Struve und nahm einen Schluck Lemberger von der Marbacher Neckarhälde. Ein klei ner Rotweinbart bildete sich an seiner Oberlippe.
»Schäufele muss ein regelrechter Waffennarr sein, aber beim Blick auf seine Vita wird mir so manches klar.«
»Mir auch«, stimmt Struve zu. »Was glauben Sie, was sie dem bei der Nationalen Volksarmee alles ein geimpft haben.«
»Jedenfalls so viel, dass er an der Grenze funktio nierte.«
»Und weil er funktionierte, hatte er keine Probleme mit dem Schießbefehl.«
»Sagen wir mal, fast keine Probleme«, erwiderte Melanie Förster.
»Na, wer hätte die nicht, wenn er merkt, dass er auf sein eigenes Patenkind gefeuert hat. Zu dumm, dass er nichts von den Fluchtplänen seiner Schwes ter wusste.«
»Wahrscheinlich hätte er es sich mit dem Schießen dann anders überlegt.«
»Natürlich hätte er nicht geschossen«, meinte Struve. »Aber so nahm das Verhängnis seinen Lauf. Und wer immer funktioniert hat, kommt aus dem Mechanis mus schwerlich raus – vor allem dann nicht, wenn ein dominanter NVAHauptmann wie Dietmar Scharf hin ter ihm steht und Druck macht.«
»Es muss eine furchtbare Situation gewesen sein, in dieser Nacht zum 6. November 1973«, blickte Mela nie Förster zurück. Auch sie hatte gestern den Bericht der Berliner Kollegen gelesen, der im Laufe des Tages in ihrem Büro eingegangen war. Schäufeles zweite Schwester Barbara war befragt worden und hatte von der Tragödie erzählt.
»Davon hat sich Schäufele nie ganz erholt, der kleine Traueraltar mit dem Bild des Jungen in seinem Schlaf zimmer spricht Bände«, sinnierte Struve. »Was mir aber noch nicht so ganz klar ist: Warum hat er sich mit der Rache so viel Zeit gelassen?«
Die Tür des Cafés öffnete sich, und Luca Santos trat ein.
»Na, so ein Zufall«, witzelte er und begrüßte die beiden Kriminalisten. Natürlich hatte er sich mit ihnen verabredet. Und sofort kamen sie darauf zu sprechen, warum Schäufele die Morde begangen haben musste. Tatsächlich kam nur er infrage, die Armbrustbatterie im Keller montiert zu haben. Etwas schwieriger war die Frage, warum Schäufele auch den Mord an Erika Scharf auf dem Gewissen haben sollte. »Eigentlich hatte er kein überzeugendes Motiv, es sei denn, ihre Schreibe gefiel ihm nicht«, scherzte Luca Santos.
»Darüber haben wir auch schon nachgedacht, Herr Journalist«, erklärte der Kommissar.
»Aha, und?«
»Wir dürfen es Ihnen aus ermittlungstaktischen
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