Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
sollte sie noch leben, würde sie ihn jetzt wahrscheinlich hassen. Sein Magen verkrampfte sich.
Das hier war sein schlimmster Albtraum.
Seine Finger öffneten die Brieftasche und zogen ihren Ausweis hervor. „Isabel Lombard, Frankfurt am Main/Deutschland.“ Er betrachtete das Bild. Sie hatte den sinnlichsten Mund, den er je gesehen hatte. Und er hatte schon einige gesehen. Er schluckte und klappte die Brieftasche zu.
Mal sehen, was sie sonst noch so mit sich herumträgt, überlegte er und schaute in einige Fächer der Brieftasche. Kreditkarte, Flugticket, ein Foto.
Mit zusammengekniffenen Lippen starrte er das Foto an.
Es zeigte einen gut aussehenden, brünetten Mann, der ihm freundlich entgegenlächelte, während er Isabel im Arm hielt. Jack, du Idiot. Warum sollte so eine Frau allein sein? Er steckte das Bild zurück, räumte den Rucksack ein, schnallte ihn auf den Rücken und humpelte los, Richtung Norden, wo er die einfachste Route vermutete.
Er hoffte inständig, den Frauen war nichts zugestoßen. Trotz seiner vielen Flugstunden war er abgestürzt. Stolz und Selbstachtung waren auf dem Nullpunkt. Warum musste ihm das passieren? Er trug die Verantwortung für die Passagiere. Das Ehepaar Schneider auf Yukatan hatte ihn gebeten, ihre Nichte zu ihnen zu bringen.
„Bei Ihnen können wir wenigstens beruhigt sein“, hatte Frau Schneider zu ihm gesagt. Sie hatte ihn oft für Rundflüge an ihre Hotelgäste vermittelt. Wie sollte er ihr je wieder in die Augen sehen, wenn der Nichte etwas geschehen war? Er war schuld. Die Stimme seines Vaters meldete sich in seinen Gedanken zurück: „Jahrelang habe ich für deine Zukunft geschuftet. Und jetzt fällst du mir in den Rücken und willst irgendwelche Abenteuer erleben als Buschpilot. Warte nur, wenn du mit deiner Fliegerei so weitermachst, dann hast du eines Tages einen Unfall, und was dann? Keinerlei Absicherungen!“
Die Angst um den Sohn und die Schande, die auf der Familie lasten würde, hatten ihn dazu veranlasst, das zu sagen. Doch Jack hörte nicht auf ihn, er war nicht zum Bankier berufen. Sollte doch sein jüngerer Bruder in die Fußstapfen des Vaters treten. Fliegen wollte er und sonst nichts. Er war ein guter Pilot. Einunddreißig Jahre alt und seit seinem zwanzigsten Lebensjahr regelmäßig in der Luft. Genug Erfahrung, um sich selbstständig zu machen und hier in Mexiko Touristen zu fliegen. Aber sein Gewissen quälte ihn mit Vorwürfen. Obwohl er sich erinnern konnte, dass ein großer Vogel ihm ins Gehege kam und der Motor aus ihm unbekannter Ursache zu brennen anfing, konnte er sich nicht von einer Schuld freisprechen.
Er hätte bereits viel höher sein müssen. Zu hoch für Vögel.
Aber die Gespräche mit den Frauen, die Verwirrung, die Isabel in ihm ausgelöst hatte, all das hatte zu seiner Unaufmerksamkeit beigetragen. Es half nichts, er war schuld. Und damit würde er leben müssen. Wenn jetzt auch noch Menschen dabei zu Schaden gekommen waren, vielleicht sogar diese wunderbare Frau, dann würde er nie wieder einen Fuß in ein Flugzeug setzen, das schwor er sich.
Er vermutete, drei Tage waren seit dem Absturz vergangen. Sicher sein konnte er nicht, denn er hatte keine Ahnung, ob er einen ganzen Tag oder länger ohnmächtig im Baum gelegen hatte. Seine Uhr war stehen geblieben, so dass ihm die Datumsanzeige nicht zur Verfügung stand. Die letzte Nacht hatte er kaum geschlafen. Starke Schmerzen und Insektenattacken hatten ihn immer wieder hochschrecken lassen. Sein Magen knurrte, und die Zunge lag ihm wie ein Lederlappen im Mund. Die hohe Luftfeuchtigkeit sorgte glücklicherweise dafür, dass der Schweiß nicht verdunstete, so dass der Wasserverlust sich in Grenzen hielt. Er war sich dessen bewusst, und er wusste auch, dass er einige Tage mit den Keksen und dem Apfel auskommen konnte, bevor er dazu gezwungen war, im lockeren Erdboden nach essbaren Insekten zu wühlen. Doch vorher, so hoffte er, würden sie mit Flugzeugen nach ihm suchen, denn das Ehepaar Schneider hatte sicher schon ihre Nichte als vermisst gemeldet. Merkwürdigerweise war ihm bis jetzt noch kein Flugzeug über dem Dschungel aufgefallen.
Plötzlich bemerkte er, dass das Gestrüpp vor ihm von jemandem geteilt worden war. Erstaunt und erfreut folgte er der Spur. Lebten die Frauen noch? Ein Gefühl der Hoffnung wärmte ihn. Jemand hatte offensichtlich das Dickicht niedergetreten und zur Seite geschlagen, und er war dankbar für diesen gangbaren Weg, der ihm das Vorankommen
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