Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
rannte los und verschwand in einer kleinen Gasse.
Fassungslos starrte ich ihr hinterher. Anna machte nicht den Eindruck, als sei sie verhext, oder meinte Lisa, sie sei verhext, weil sie uns Fremde einfach aufgenommen hatte? War es das, was sie störte? Immerhin hatte sie dadurch mehr Arbeit, obwohl wir uns bemühten, dem Personal behilflich zu sein, und uns an allen Ecken nützlich machten. Unschlüssig darüber, ob ich Jack heute Abend davon erzählen sollte oder nicht, ging ich zurück ins Haus.
Der Tag ging langsam zu Ende, und die Geschäftigkeiten im Haus nahmen einen ruhigen Verlauf an. Ich war hungrig und freute mich auf das Abendessen. Karin zeigte mir stolz ein besticktes Halstuch, und wir lachten bei der Vorstellung, dass wir uns noch vor ein paar Wochen mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hätten, uns mit Handarbeiten zu beschäftigen.
Beim Abendessen erfuhren wir, dass Friedrich in zwei Tagen eine Reise antreten musste. Sie würde ihn bis an die französische Grenze führen und somit einige Wochen dauern. Anna saß während des Essens mit gesenktem Blick vor ihrem Teller und stocherte in ihrer Mahlzeit.
Friedrich schob seinen Teller von sich und wandte sich an Jack.
„Mein lieber Jack, es war mir heute ein Vergnügen, die Arbeit mit Euch gemeinsam zu verrichten. Ihr lernt schnell, auch wenn Ihr manchmal einen seltsamen Vorschlag macht und wir noch ein paar sprachliche Probleme haben. Im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden.“
Jack bedankte sich für das Lob mit einem Kopfnicken.
„Nun ist es Zeit für mich abzureisen, und in meiner Abwesenheit verlasse ich mich auf Euch. Die Annahme von Warenlieferungen habe ich Euch bereits gezeigt, und sonst steht im Augenblick nichts mehr an, was meine persönliche Anwesenheit erfordern würde. Ich werde Euch natürlich für Eure Mühe entsprechend entlohnen.“
„Zunächst werde ich mir bei Euch das Geld für Kleider und Essen erarbeiten, welches Ihr uns so großzügig bereitgestellt habt“, sagte Jack.
Friedrich nickte bedächtig und ging ansonsten über die Bemerkung hinweg.
„Ich werde Euch nachher noch schnell einiges im Lagerschuppen erklären, wenn Ihr bitte nach dem Essen kurz zur Verfügung stehen könntet?“
Trotz der beginnenden Freundschaft waren sie noch immer bei der förmlichen Anrede.
„Natürlich“, sagte Jack kurz und schaute mich über den Rand seines Weinglases an.
Ich zuckte fast unmerklich mit den Schultern und hoffte, Jack würde verstehen, was ich zu signalisieren versuchte. Es ist nicht so wichtig, wir können später reden.
Als das Essen beendet war, raunte mir Jack ins Ohr: „Morgen, okay?“
Ich sah das Bedauern in seinem Gesicht und nickte verständnisvoll. Wir verbrachten den Abend, wie so oft, mit nützlichen Beschäftigungen. Nachdem das Personal seine Küchenarbeit erledigt hatte, konnten wir über den Raum verfügen. Barbara sammelte täglich Kräuter und legte sie zum Trocknen auf ihr Fensterbrett oder hängte sie an den Wänden auf. Danach halfen wir ihr, die Blüten von den Stängeln zu trennen, und sie bereitete Tees oder Tinkturen für das Hospital und Annas Haushalt, die man erfolgreich gegen Blähungen, Kopfschmerzen, Fieber oder Muskelschmerzen einsetzen konnte. Auch verschiedene Baumrinden wie Eiche, Weide oder Birke wurden verwertet. Ihr Wissen über Naturheilkunde, für die sie sich schon immer interessiert hatte, mochte uns in diesem Jahrhundert eine enorme Hilfe sein. Die Elixiere füllten wir in schmale Glasgefäße, die Barbara aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte. Es roch wie in einer Hexenküche, und plötzlich musste ich über uns lachen.
„Ich komme mir vor wie eine alte Hexe.“
Alle lachten mit, doch plötzlich machte Karin ein besorgtes Gesicht.
„Das finde ich eigentlich überhaupt nicht amüsant. Haben sie nicht in diesem Jahrhundert noch Hexen verbrannt?“
Ich erstarrte vor Schreck. Hatten sie das wirklich? Die Worte Hexe oder verhext werden, hatten für mich eher eine verniedlichende Bedeutung. In meiner Kindheit wollte ich zu Fasching lieber eine Hexe sein als eine langweilige Prinzessin, doch plötzlich wurde allein das Wort zu einer lebensgefährlichen Bedrohung.
„Wir müssen aufpassen. Wenn man uns hierbei beobachtet, könnte es gefährlich werden. Es ist doch offiziell nur den Apothekern erlaubt, Medikamente zu mischen“, sagte ich.
„Aber Anna hat nichts dagegen, wenn wir die Küche benutzen. Sie hat es mir selbst gesagt, und sie weiß ganz genau, was
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