Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
stolz auf sie und ermunterten sie ständig, mutiger auf das andere Geschlecht zuzugehen, doch Barbara konnte sehr stur sein.
Am Nachmittag sollte Lisa ein paar Einkäufe in der Stadt unternehmen. Ich entschloss mich, sie zu begleiten, und gab mich der Hoffnung hin, ich könnte vielleicht unser gespanntes Verhältnis etwas verbessern. Karin und Anette lernten von der Näherin die Kunst des Kreuzstiches, und Barbara blieb auf unserem Zimmer, um ein Tagebuch beginnen. Sie wollte ihre Eindrücke notieren, alles für die Nachwelt festhalten, was ich für eine gute Idee hielt. Sicher würden wir eines Tages darüber lachen können, falls wir je wieder nach Hause kommen würden, was mir mit jedem Tag unwahrscheinlicher erschien. Ein ernst zu nehmender Hinweis, wie wir die Rückreise antreten könnten, war bisher nicht aufgetaucht. Wir hatten unseren Landeplatz im Wald gründlich untersucht, fanden jedoch keinerlei Spuren unserer seltsamen Reise.
Jack war mit Friedrich im Kontor. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb sehr gut, und ich hörte Friedrich oft lachen, wenn Jack wieder einmal etwas missverstanden hatte oder wenn er den täglichen Widrigkeiten des Lebens mit seinem trockenen, angeblich englischen Humor begegnete. Manchmal gingen sie zusammen in einen Gasthof und kamen spät abends leicht angeheitert zurück. Jack hatte sich zu einem begeisterten Apfelweintrinker entwickelt. Zunächst hatte er die Nase gerümpft, aber nach und nach war er zu seinem Lieblingsgetränk geworden. Nur seine Darmflora konnte sich nicht so recht mit dem „Stöffsche“, wie es hierzulande liebevoll genannt wurde, anfreunden, und ab einer gewissen Menge musste sich Jack oft kurzfristig aufs Örtchen zurückziehen.
Ich war froh darüber, dass Friedrich sich um Jack kümmerte, dann musste ich mir nichts einfallen lassen, um ihm aus dem Weg zu gehen. Seine Blicke sprachen inzwischen Bände, und es bereitete ihm offensichtlich immer mehr Schwierigkeiten, seine Hände bei sich zu behalten. Sexueller Notstand, sicher auch bei ihm. Ein Mann wie er war sicherlich nur selten ohne Freundin.
Lisa holte noch schnell einen Korb, und ich wollte in der Eingangshalle auf sie warten. Ich ging die lange gewundene Treppe hinunter, wobei mein Blick auf das Porträt des Indios fiel. Seine Augen blickten in die meinen, und ich blieb unvermittelt stehen. Es war, als ob ich eine Stimme hörte, weit hinten in meinem Kopf, wie ein fernes Echo, aber ich konnte nichts verstehen.
„Isabel.“
Ich schrak zusammen. Erleichtert atmete ich auf, als ich Jacks Stimme erkannte. Im ersten Moment dachte ich, das Bild habe gesprochen. Jack stand unten an der Treppe und musterte mich.
„Was machst du da? Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.“
„Ich betrachte das Bild.“
Einer plötzlichen Eingebung folgend, sprach ich aus, was ich dachte.
„Jack, kann ich heute Abend allein mit dir sprechen?“
Ich riss mich von der magischen Anziehungskraft des Porträts los und sah ihn ernst genug an, damit er meine Bitte nicht falsch verstehen würde. Besorgt hob er eine Augenbraue.
„Ist irgendetwas Schlimmes passiert?“
„Ich weiß es nicht. Nein, Schlimmes nicht, aber etwas Unheimliches. Ich muss dir etwas erzählen.“
Ich hörte Lisa unterdrückt husten, als sie aus dem Dienstbotentrakt näher kam.
„Natürlich, nach dem Essen kannst du zu mir kommen“, flüsterte er.
Ich ging die Treppe hinunter, dicht an Jack vorbei. Mein Puls beschleunigte sich, als ich seinen Arm streifte. Es half alles nichts, ich musste mit ihm reden, auch wenn ich dafür die Höhle des Löwen betreten musste.
Erleichtert, erneut die Versuchung hinter mir gelassen zu haben, ging ich neben Lisa über den großen Platz vor dem Haus. Sie sprach kein Wort und blickte nur stur geradeaus, als ich ihr ins Gesicht sah.
„Lisa, was ist denn los mit dir?“, fragte ich und blieb stehen. Sie ging unbeeindruckt weiter, und ich lief ihr nach, bis ich wieder aufgeholt hatte.
„Bleib doch mal stehen, Lisa, bitte“, sagte ich und hielt sie an der Schulter fest. Ihre grauen Augen funkelten mich an.
„Sag mir doch bitte, warum du so abweisend bist. Haben wir dir etwas getan?“
Sie kaute auf ihrer Unterlippe und blickte zu Boden. Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Was ist es dann?“
„Seit Ihr da seid, ist die Herrin ganz anders“, sagte sie kaum hörbar.
„Wieso, wie war sie denn früher?“, fragte ich irritiert.
„Ihr habt sie verhext!“, rief sie unvermittelt,
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