Schimmer (German Edition)
von Fishs Wut. Die Pappdeckel der Kisten klappten und flappten, und die Fenster beschlugen und wackelten von der Wucht der Bö. Bobbi hielt sich beide Arme über den Kopf, als die Hefte über sie sausten und auf sie zu fallen drohten, während sich tropische Hitze im Bus ausbreitete. Ich stellte mir vor, Bobbi würde vom Papier der flatternden Zeitschriften zerschnitten, sprang auf zu Fish, der Bobbi mit glühendem Blick anstarrte. Ich packte meinen Bruder bei den Schultern und rüttelte ihn kräftig. Einen wilden wütenden Moment lang dachte ich, ich müsste ihn schlagen oder ihm die Ohren langziehen – irgendwas, damit er aufhörte zu stürmen.
»Fish!« Zischend rief ich seinen Namen und rüttelte ihn wieder, verzweifelt. Plötzlich war Samson bei mir. Seelenruhig, ohne ein Lächeln, ohne die Stirn zu runzeln oder auch nur zu blinzeln, legte Samson eine blasse Hand auf Fishs Arm. Ohne zu drücken, zu kneifen, zu hauen, zu knuffen. Er legte einfach nur seine staubigen Finger auf Fishs Handgelenk und der Wirbelwind hörte auf.
Fish löste den feurigen Blick von Bobbi und schaute auf Samson hinab, schüttelte mehrmals den Kopf, als wollte er den letzten Wutwind herausschütteln.
»Tut mir leid«, sagte er, er sah ärgerlich und verwirrt aus und sein Gesicht war rot, als er sich bei Samson oder Bobbi oder sich selbst entschuldigte. Will junior war bei Fishs Ausbruch aufgestanden, hatte dabei das Schreibset fallen gelassen und es beim Versuch, die Zeitschriften abzuwehren, versehentlich unter das Feldbett gekickt. Jetzt schauten er und seine Schwester meine Brüder und mich an, als wären wir kleine grüne Männchen, die gerade bei ihnen im Garten gelandet waren. Alles war ganz still geworden … und zwar wirklich alles. Es dauerte einen Moment, bis ich merkte, wie ruhig alles geworden war … und wie still.
Der Bus war stehen geblieben. Der Motor war aus. Das Ruckeln und Röhren war verstummt. Der Bote stand im Gang, die Fäuste in die Seiten gestemmt, und starrte uns an. Der Dackelblick war einem etwas verärgerten Ausdruck gewichen – einem ziemlich wütenden Ausdruck.
»Sie weiß, dass sie in der Klemme sitzt«, sagte Bobbis Engel in meinen Ohren.
Da ist sie nicht die Einzige, dachte ich.
10. Kapitel
In der ohrenbetäubenden Stille schaute der Bote uns an, als müsste er entscheiden, was mit den Mäusebabys zu tun sei, die in seinen Bibeln genistet hatten – vergiften oder ertränken? Der Katze zum Fraß vorwerfen oder in die Falle stecken? Er schaute uns an und wir schauten zurück, wir wagten kaum zu atmen.
Der Mann hatte die verwelkte Nelke abgenommen und den rosa Schlips gelockert. Er hatte die Manschetten aufgekrempelt, und als er die Arme über der verwaschenen Latzhose und der schmalen, eingesunkenen Brust verschränkte, da zeigten Carlene und Rhonda, die schimpfenden Schreckschrauben, endlich ihr Gesicht – oder besser gesagt, ihr Versteck.
Carlene war über einer schwarzen Rose mit nagelspitzen Dornen in Schnörkelschrift auf dem rechten Arm des Mannes eintätowiert. Rhonda stand unter einem roten Herzen mit dem Wort Mom darin auf seinem linken Arm. Während ich hinsah, rockten und rollten die Buchstaben der Namen; mir drehte sich der Magen um, während sie sich zu Frauengesichtern zusammenfügten. Wieder fingen sie an zu streiten.
»Du bist seine Mutter, Rhonda. Was hast du gemacht, dass er so ein Weichei geworden ist? Der Kerl hat überhaupt keinen Biss.«
»Ich kann nichts dafür! Lester kommt nach seinem Vater, diesem nichtsnutzigen Trottel, diesem Schwächling. Aber Carlene, wenn du nicht darauf bestehen würdest, dass mein Junge dir jeden Cent gibt, den er mit Bibelausfahren für deinen Cousin verdient, hätte Lester vielleicht eine Chance, endlich mal auf einen grünen Zweig zu kommen, anstatt sich nur abzuplacken, um deinen Lebensstil zu finanzieren.«
Als die beiden Frauen von den Buchstaben ihrer Namen zum Leben erweckt wurden, sah das so aus, wie wenn ein Cartoon in der Sonntagszeitung auf einmal anfinge sich zu bewegen, und mir wurde wieder ganz schwindlig. Mit wackligen Knien ging ich einen Schritt zurück und sagte mir, dass das hier nicht mein Schimmer war. Das war nur mein Gehirn, das mir einen Streich spielte, einen gemeinen Streich. Ich musste trotzdem zu Poppa und ihn aufwecken, denn so war es gedacht. Ich wollte mich auf das Feldbett setzen, bevor mir die Wackelknie versagten, aber dort residierte immer noch
Weitere Kostenlose Bücher