Schimmer (German Edition)
zeigte, war Lester ziemlich froh über die Reisebegleitung. Er machte die ersten Reihen der schäbigen, schmuddeligen Sitze frei und ermunterte uns vorn zu sitzen. Bobbi und Will junior setzten sich auf die eine Seite, direkt hinter den Fahrersitz, wir Beaumonts und die Merkwürdigkeiten, die um uns herum passierten, waren ihnen wohl plötzlich nicht mehr so ganz geheuer. Fish und ich setzten uns zusammen auf die andere Seite des Gangs, wir konnten es beide kaum abwarten, wieder loszufahren. Samson blieb lieber hinten im Bus, er verzog sich mit der Chipstüte wieder unter das Feldbett, die Würstchen und den Zeitschriftenstapel allzeit griffbereit.
»Das alte Mädchen hier hat zwar nicht die allerbesten K-Kolben, und der V-Vergaser müsste auch mal ausgewechselt werden, aber sie ist noch lange nicht am Ende.« So faselte Lester über den großen rosa Lieferbus, während er am Steuer saß. Er redete so, als wäre der Bus ein zartes Pflänzchen, mit dem er sehr behutsam umgehen müsste. »Natürlich muss ich immer darauf achten, sie unter 90 zu halten.« Lester verzog das Gesicht, als müsste er an all die Male denken, wo er nicht darauf geachtet hatte. »Nur ein bisschen drüber, dann v-verabschiedet sie sich. Ich weiß noch, einmal, als …«
»Wie lange dauert es denn bis Salina?«, fragte Fish ungeduldig in Lesters Geschwafel hinein. »Unser Poppa ist schlimm dran. Wir müssen ganz bald zu ihm.« Mein Herz setzte einen Schlag aus und mein Magen drehte sich um, als ich an Mommas Worte dachte: Die Ärzte sagen, wir müssen abwarten. Will und Bobbi rutschten unruhig herum, als wäre auch ihnen wieder eingefallen, weshalb wir eigentlich in den Bus gestiegen waren.
»Tja«, sagte Lester, den es offenbar überforderte, mitten im Satz das Thema zu wechseln. »Mal überlegen. B-bis fünf muss ich in Bee sein.« Während er mit einer Hand das Lenkrad festhielt, holte er mit der anderen eine Uhr mit kaputtem Armband aus der Tasche seiner Latzhose.
»Verdammt noch mal!«, sagte er und wäre fast von der Fahrbahn abgekommen, als er auf die Uhr sah. »Ich bin zu spät!« Der Bus ächzte und röchelte, als Lester fester aufs Gaspedal trat. Fish und ich dachten daran, was Lester uns eben gerade über den Bus erzählt hatte, und spähten über Lesters Schulter hinweg nervös auf den Tacho.
»Und dann«, fuhr Fish fort. »Was ist nach Bee? Wenn Sie da fertig sind, fahren Sie dann zurück nach Salina?«
»Hmm?« Lester sah Fish abwesend an, als hätte er gar nicht zugehört. »Nach Bee? Nein, dann geht’s weiter nach Wymore, dann muss ich kurz nach Manhattan, um eine Freundin zu b-bezahlen – sie ist die C-Cousine von meinem Chef Larry, und wenn ich ihr das Geld nicht bringe, wird sie echt sauer. Und danach geht’s zurück nach Salina.«
Inzwischen war Bobbi auf ihrem Sitz ganz nach vorn gerutscht, sie spähte angestrengt um die Trennwand zwischen ihrem Platz und der Rückenlehne von Lesters Sitz herum und schaute Lester finster an. »Und wie lange soll das Ganze dauern? Wann genau wollen Sie wieder in Salina sein?«
»Och, spätestens morgen Nachmittag, schätze ich«, sagte Lester abwesend, als er die nächste Ausfahrt von der Fernstraße nahm und auf eine kleine Landstraße auffuhr, noch weiter Richtung Norden, noch weiter weg von Salina.
»Morgen?«, riefen wir alle. »Morgen?«
»Das ist zu spät!«, schrie ich.
»Tja, da kann ich nichts dran ä-ändern«, sagte Lester, der das Gespräch unbedingt beenden wollte. »Ich kann es mir nicht leisten, meinen Job zu verlieren. Wenn ich jetzt z-zurückfahre, werd ich garantiert gefeuert. Dann heißt es keine Bibeln, keinen B-Bus und keine Zukunft für den armen alten Lester.«
Ich schluckte schwer, dachte an die Klemme, von der ich schon so oft gehört hatte, und kapierte erst jetzt so richtig, wie blöd es war, wenn man darin saß. Wie konnte ich einen Mann, den ich noch nicht mal kannte, bitten, für mich seine Lebensgrundlage aufs Spiel zu setzen? Aber andererseits, wie konnte ich noch einen Tag warten, bis ich zu Poppa kam?
»Morgen. Ist doch optimal.« Bobbi drehte sich um und schaute mich an, als würde sie mich am liebsten verhexen. »Morgen«, sagte sie noch einmal, nickte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Das ist super .«
Auch Fish und Will junior schauten zu mir herüber. Ich verkroch mich in meinem Sitz, ich war todunglücklich über unsere Lage. Zu meiner Überraschung zwinkerte Will mir mit
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