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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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schiefem Grinsen zu, und da ging es mir ein wenig besser. Will war der Einzige im Bus, der so aussah, als fände er die Sache ganz lustig.  
    Die klitzekleine Stadt Bee war tatsächlich kaum größer als eine Biene; wenn man nur einen Augenblick zu spät hinguckte, konnte sie glatt an einem vorbeisausen. Als wäre unsere Situation nicht so schon schwierig genug, wurde alles noch verquerer und verkorkster, als wir in diese Fipselstadt kamen.  
    In Bee gab es nur eine einzige Kirche. Sie war so kastenförmig und winklig wie ein Akkordeon, doch die Fenster der Kirche waren dunkel und die Türen waren fest verschlossen.  
    Lester Swan schaute von seiner Armbanduhr zur Sonne – jetzt kaum noch am Horizont zu sehen –, während er an den Türgriffen zog und über den knallgrünen Kunstrasen ging, der zum Seiteneingang führte. Lester setzte sich auf die Betonstufe vor der Kirche und kratzte sich am Kopf. Ich ging weg, weil ich nicht hören wollte, wie Carlene und Rhonda über Lesters neuesten Patzer lästerten und stänkerten. Von den Tussis wurde mir übel, sie waren so widerwärtig. Wenn ich an meine Momma dachte, tat Lester mir leid. Rhondas Stimme klang ganz und gar nicht so, wie die Stimme einer Mutter klingen sollte. Meine Momma ist natürlich etwas ganz Besonderes, dachte ich dann. Meine Momma ist vollkommen.  
    »Bei mir hat es damals Monate gedauert, ehe ich herausfand, was mein Schimmer ist«, hatte Momma mir einmal gesagt. Da waren wir in der Küche gewesen, Momma, Gypsy und ich, und Momma hatte versucht mir beizubringen, wie man eine vollkommene Pastete macht. Aber meine Pastete wurde alles andere als vollkommen. Gypsy war mehr daran interessiert, die Finger tief in ihren weichen Teigklumpen zu drücken, sie pfriemelte kleine Fitzelchen heraus und futterte sie, wenn Momma nicht guckte.  
    Mein Pastetenteig wurde entweder krümelig und brüchig oder zäh und klebrig; ich pappte ihn immer wieder zusammen und versuchte ihn auszurollen, während Mommas Teig sich wunderbar hochheben und seidenweich in die Form gleiten ließ – so vollkommen wie nur was.  
    »Und wie hast du es dann rausgekriegt, Momma?«, fragte ich. Mehl kitzelte mir in der Nase und rieselte dort, wo ich mit meinem großen Nudelholz stand, wie Schnee vom Tisch herunter. »Wie hast du rausgekriegt, was dein Schimmer ist? Wann wusstest du zum ersten Mal, dass du vollkommen bist?«  
    Momma schaute auf das Durcheinander auf dem Tisch und lachte; ein Lachen wie die Kirchenglocken in Hebron an einem klaren Morgen. Erst dachte ich, Momma lachte über meinen klobigen, klitschigen Teigklumpen, als mir einfiel, dass sie so etwas nie tun würde. Sie zog einen Küchenstuhl heran und setzte sich, legte mein Nudelholz beiseite und nahm meine Mehlfinger in ihre. Sie lächelte mich lieb an.  
    »Ich bin nicht vollkommen, Mibs. Niemand ist vollkommen. Ich hab einfach nur den Bogen raus. Deshalb wirkt es vielleicht manchmal so, als wäre ich vollkommen. Außerdem«, fuhr sie fort, und ihr Lächeln schwand, als sie meine Hände drückte, »würdest du dich wundern, wie viele Leute gar nicht gern mit jemandem zusammen sind, dem immer alles gelingt. Es ist nicht immer leicht, so zu sein.«  
    Ich nickte, und Momma nahm mich in die Arme. Es war kaum vorstellbar, dass irgendwer nicht gern mit ihr zusammen war.  
    »In fast jeder Hinsicht, Mibs, sind wir Beaumonts genau wie alle anderen Leute«, sagte Momma, ließ mich los und streute noch ein bisschen Mehl auf meinen Teig, während sie die Worte hersagte, die ich schon so oft gehört hatte. »Wir werden geboren, und irgendwann später sterben wir. Und in der Zwischenzeit sind wir glücklich und traurig, wir empfinden Liebe und Angst, wir essen und schlafen und wir haben Schmerzen wie alle anderen.«  
    Ich dachte über Momma nach, während ich um die Kirche herumging und dem zerfurchten unbefestigten Weg ein Stück folgte. Erleichtert stellte ich fest, dass die Stimmen verhallten und ein Grillenorchester sich für das Abendkonzert einstimmte – vielleicht habe ich sie geweckt, überlegte ich. Ich trat gegen Steine, als ich den Weg überquerte und auf ein mit Brettern vernageltes, baufälliges Haus zuging, das so aussah, als wäre vor langer Zeit eine Wagenladung weißer Farbe darüber ausgekippt worden. Fish war mit Samson im Bus geblieben, er grimmte und grollte noch immer und war fast so still und finster wie unser kleiner Bruder. Bobbi war ausgestiegen, ein neues Stück Bubble Tape

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