Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
seinerseits einen Daumen und verschwindet in der Küche. CarlaZwei und ich stoßen an, auf nichts direkt Ausgesprochenes, und wir lächeln. Im Anschluss zahlen wir die beiden Einzelrechnungen mit unseren Kreditkarten und gehen dann Arm in Arm durchs Industriegebiet.
Als ich am nächsten Vormittag das CobyCountyArthouse betrete, öffne ich gleich den Reißverschluss meiner hauchdünnen Frühjahrsjacke, um sie an der Garderobe abzugeben. An der Kasse wird meine Jahreskarte über den Scanner gezogen und Wesley schaut gar nicht überrascht. Ich hatte zwar geahnt, dass er arbeiten würde, konnte aber nicht sicher sein, denn normalerweise macht er ja Urlaub im März und April. Doch dieser Urlaub, der erstmals außerhalb CobyCountys stattfand, liegt nun bereits hinter ihm. Das Museum ist gut besucht, internationales Publikum schlendert durch die weißen Hallen, Wesley steht wie hineinmontiert dazwischen. Er hat die Mütze auf dem Kopf, die zu seiner Seefahreruniform passt und gegen die er sich immer aufgelehnt hat. Wir geben uns leicht formell die Hand.
»Du trägst ja mal die Mütze.«
»Na ja. Frank meinte, die steht mir … Was machst du hier?«
»Ich dachte, ich könnte mir die Ausstellung anschauen. Ich komme gerade von einer neuen Carla und wollte nicht gleich nach Hause. Ich habe sie im Keyboardfachhandel kennengelernt. Sie ist großartig. Ich spiele jetzt auch Keyboard.«
»Tatsächlich?« Wesleys Augen strahlen ein wenig. Dann schlägt er mit der flachen Hand auf meinen Oberarm, es ist wohl als Beglückwünschung gemeint, ich reagiere kaum.
»Ja. Ich kann schon ein ganzes Lied. CarlaZwei motiviert mich zum Spielen …«
»Aber du sagst nicht wirklich CarlaZwei zu ihr?«
»Nein, nein« , behaupte ich, und Wesley grinst, weil er weiß, dass ich lüge. »Und du? Was habt ihr im Qualm noch so erlebt?«
Wesley schaut für einen Moment nach links und rechts. Da er gerade keine Führung gibt, muss er darauf achten, dass niemand die Kunstwerke betastet, die mit dem Schild ›Bitte nicht berühren‹ versehen sind. Neben welchen Werken dieses Schild angebracht wird, entscheidet Wesley zusammen mit einigen anderen für jede Ausstellung neu. Die vielen Skulpturen, die als Anfass-Objekte konzipiert sind, müssen regelmäßig desinfiziert werden. Auch diese Desinfizierung fällt in Wesleys Aufgabenbereich. Sein Job ist in den meisten Phasen nicht besonders anspruchsvoll, fällt mir wieder auf, Wesley hat hier immer genug Zeit zum Nachdenken, wahrscheinlich sogar zu viel.
Er spricht leise und dicht an meinem Ohr: »Wir haben mit ein paar Leuten geredet. Einige kannten wir schon. Primär Jungs, die sich zum Untergrund zählen, kleine Eventmanager, alle leicht überheblich.«
»Über was habt ihr gesprochen?«
»Über das Feuer. Ob es Brandstiftung war.«
»Ich habe gelesen, dass Brandstiftung auszuschließen ist.«
»Ja, das haben alle gelesen …«
Wesleys Mittagspause verbringen wir im Museumscafé. An den anderen Tischen sitzen hochgewachsene Blondinen und trinken Mineralwasser. Wir bestellen uns Espresso und mein Puls schlägt bereits höher, als Wesley behauptet, dass der neue Bürgermeister selbst den Brand initiiert habe, um nun bald einem fiktionalen Untergrund die Schuld daran zu geben.
»Was heißt fiktional?« , frage ich. »Es gibt den Untergrund doch. Ich war doch selbst auf so einer Party.«
»Natürlich gibt es den Untergrund. Als Partykollektiv. Aber Chapmen wird sagen, dass es mehr ist. Er wird daraus eine Bewegung machen. Er wird ein Gerücht streuen. Unter der Hand wird es heißen, dass der Untergrund für den Brand verantwortlich ist. Nur die offizielle Variante bleibt die alte: ein dämlicher Unfall. Aber den kleinen Jungen, der in dem ungewässerten Garten mit seiner Lupe gespielt hat, hat es in Wahrheit nie gegeben.«
»Aber warum sollte die neue Regierung Interesse an so einem Untergrund haben? Was hätten sie denn davon?«
»Sie würde daran mitverdienen. Nichts ist kommerzieller als das Zwielichtige. Stell dir vor: Jugendliche rebellieren, indem sie auf Untergrundpartys gehen! Sie könnten sich ihren ganz eigenen Bereich zuordnen, den Bereich des Zwielichtigen … Chapmen ist ein konservativer Mann. Er glaubt, dass Alt und Jung miteinander konkurrieren müssen, damit beide Seiten glücklich werden.«
»Aber dafür nimmt er doch keine niedergebrannten Villen in Kauf. Das sind doch alles irre Kosten …«
»Es wurden keine wertvollen Häuser beschädigt. Nur die leerstehenden,
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