Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Alles ist vorbereitet, die Wanne wurde mit dampfendem Wasser gefüllt, auf ihrem Rand glänzt ein Sektkühler. Mein Hemd hängt zum Trocknen über einer Stange. Plötzlich öffnet jemand die Tür. Die ehemalige VWL-Professorin Joline Caulfield und der betrunkene Cousin meiner Mutter treten ein, sie begrüßen mich herzlich und legen ihre Bademäntel ab. Ich mache einen Knoten in die Bändel meiner Schwimmshorts und ziehe meinen kaum sichtbaren Bauchansatz ein. Der austrainierte Cousin meiner Mutter, dessen Namen ich vergessen habe, hat weiße Haare auf der Brust, die er völlig selbstbewusst in den Raum streckt. Er steigt als Erster in die Wanne. Sie ist trotz ihrer ovalen Form groß genug für drei. »Oder ist dir das unangenehm mit uns?« Ich habe nie bei Joline Caulfield studiert, aber immer viel Gutes über sie gehört. Ich sage: »Ach was.« Als wir wenig später bis zu den Schultern mit Schaum bedeckt sind und sich unsere Beine unten im Wasser jederzeit zu berühren drohen, reichen wir die Sektflasche im Kreis herum. Ich sitze an der Stirnseite, links Caulfield, rechts der Cousin, ich hätte Gläser nicht schlecht gefunden. Aus den Radioboxen an der Raumdecke grüßt meine Mutter. Sie hofft, dass sich alle wohlfühlen und aufwärmen, und lädt für später zum Buffet in der Lobby ein. Joline Caulfield nimmt einen großen Schluck Sekt und fragt nach meinen Plänen für den Frühling. Ich blicke auf die schwarzen Träger ihres Bikinis. Die älteren Bewohner von CobyCounty gehen immer davon aus, dass der Frühling für uns Jüngere mit prägenden Neudefinitionen einhergeht. Als würden uns die Wochen zwischen März und Mai zu völlig unsoliden Figuren transformieren. Vermutlich denken sie das, weil es so in diversen Kultur- und Businessmagazinen nachzulesen ist. Über den Frühling in CobyCounty gibt es regelmäßig Reportagen mit szenischen Einstiegen: ›Gegen zehn am Morgen hat das junge Paar aus Bristol UK noch lange nicht genug vom Tanzen im Sand.‹ Und auf diese Sätze folgen dann immer Statistiken, die kaum zu glauben sind, und danach wieder Beschreibungen, die sich mit den eigenen Eindrücken merkwürdig vermengen.
Um in diesem Schaumbad nicht zur Projektionsfläche für eine ehemalige Volkswirtschaftsprofessorin und einen austrainierten Cousin zu werden, behaupte ich, dass ich im kommenden Frühling vielleicht verreise: »Mich interessiert, wie das Frühlingsleben an anderen Orten aussieht.« Danach sage ich nichts mehr und sehe die beiden nachdenklich im Schaum sitzen. Wahrscheinlich fragen sie sich jetzt, ob ich nur ein besonders merkwürdiger später Jugendlicher bin, oder ob sie vielleicht doch ganz falsche Vorstellungen von Gegenwartsjugend haben. In Wahrheit plane ich natürlich nicht, im Frühling zu verreisen, in Wahrheit fiebere ich dem Frühling in CobyCounty genauso entgegen wie alle anderen auch. Joline Caulfield hält die Sektflasche in den schwülen Badedunst. Die Flasche ist von außen beschlagen, ich greife nach ihr und trinke und wundere mich, dass der Sekt noch perlt. Dann bricht der Cousin das Schweigen: »Also wir sollten bald mal ans Buffet, meint ihr nicht?« Als er sich aus der Wanne erhebt, hängt seine Brustbehaarung in dunkelweißen Streifen an ihm herunter. Er rubbelt sie mit einem Handtuch trocken und klatscht danach in die Hände. Nahezu synchron verlassen nun auch Miss Caulfield und ich das noch immer heiße Wasser.
Am Buffet treffe ich meine Mutter, sie hält ihre nächste Pepsicola in der Hand und hat frisch geföhntes Haar. Sie fragt, mit wem ich habe baden müssen. Ich erzähle es ihr und sage, dass es überhaupt gar kein Problem gewesen sei, meine Mutter grinst und fährt mir mit einer Hand über den Kopf: »Viele sind noch gar nicht wieder aus den Bädern gekommen« , sagt sie, »da ergeben sich vielleicht ein paar Romanzen.« Als ich ernst nicke, lacht meine Mutter: »Ach Wim, irgendwann wirst du manches nicht mehr so eng sehen.« Ich nicke wieder und atme aus und schöpfe mir etwas Fenchelcremesuppe in einen tiefen Teller. Bevor meine Mutter davongeht, drückt sie mich kurz an sich und sagt: »Bald wird es Frühling!« Ich schreibe Wesley eine SMS, in der steht, dass sich das Milieu unserer Mütter fast genauso auf den Frühling freut wie wir. Dabei kann ich gar nicht behaupten, dass unsere Mütter dem gleichen Milieu angehören, denn Wesleys Mutter hat CobyCounty vor eineinhalb Jahren als Neo-Spiritualistin verlassen. Sein Dad, der ein einflussreicher Webdesigner
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