Schindlers Liste
und meßbaren Erfolge aufzählt, welche das Böse über das Gute davonträgt, hat es leichter, er kann gescheit, trocken, mit Durchblick und ohne falsches Pathos berichten, denn es ist einfach zu zeigen, mit welcher Unausweichlichkeit das Böse zum eigentlichen Hauptgegenstand des Berichtes wird, während das Gute auf solche Imponderabilien wie Würde und Selbsterkenntnis beschränkt bleibt. Tödliche menschliche Bosheit bildet den Gegenstand vieler Berichte, dem Historiker ist die Erbsünde wie Muttermilch. Von Tugenden zu schreiben ist da schon viel riskanter.
Tatsächlich ist das Wort Tugend bereits so gefährlich, daß es sogleich einiger Erläuterungen bedarf. Herr Oskar Schindler, der eben jetzt den vereisten Bürgersteig in diesem eleganten alten Wohnviertel Krakaus betritt, war kein tugendhafter Mensch im üblichen Sinn. Er hielt sich in dieser Stadt eine deutsche Mätresse und hatte eine Affäre mit seiner polnischen Sekretärin. Seine Ehefrau Emilie wohnte meist daheim in Mähren, kam allerdings gelegentlich auf Besuch zu ihm nach Polen. Immerhin bleibt festzuhalten: Er war in jedem Fall ein großmütiger Liebhaber und von guten Manieren. Doch die landläufige Auffassung von Tugend würde das nicht als Entschuldigung gelten lassen. Er war ferner ein Trinker.
Manchmal trank er, weil es ihm Vergnügen machte, dann wieder trank er mit Geschäftspartnern, Bürokraten, SS-Funktionären zwecks Durchsetzung bestimmter Absichten. Er verstand es wie wenige, beim Trinken einen klaren Kopf zu behalten. Doch auch das ist im strengen Wortsinn keine Tugend. Und obschon Schindlers Verdienste über jeden Zweifel bezeugt sind, erwarb er sie sich notgedrungen im Umgang mit einem korrupten und barbarischen Regime, das überall in Europa Lager errichtete, in denen es unmenschlich zuging, und das einen gleichsam unterirdischen, kaum je erwähnten Häftlingsstaat begründete. Beginnen wir also mit einem Beispiel, an dem sich Schindlers sonderbare Tugend demonstrieren läßt und auch, an welche Orte diese ihn führte und mit welchen Personen sie ihn zusammenbrachte.
Am Ende der Straszewskiegostraße ragte die dunkle Masse des Wawel auf, jenes Schlosses, von dem aus der nationalsozialistische Rechtswahrer Hans Frank das polnische Generalgouvernement regierte. Nirgendwo zeigte sich ein Licht. Weder Schindler noch sein Fahrer schauten hinauf zu den Befestigungen, als der Wagen südöstlich in Richtung auf den Strom abbog. Die Wachen auf der Podgorze-Brücke über die Weichsel, deren Aufgabe es war, das Einsickern von Partisanen zu verhindern und Verstöße gegen die Ausgangssperre zu ahnden, kannten den Wagen, Schindlers Gesicht und den Passierschein, den Schindlers Chauffeur vorzeigte, denn Schindler befuhr diese Strecke häufig, entweder auf dem Weg von der Fabrik (wo er eine Wohnung unterhielt) zur Stadt, oder von seiner Stadtwohnung in der Straszewskiegostraße nach der Fabrik in Zablocie. Sie waren es auch gewöhnt, ihn nach Einbruch der Dunkelheit zu sehen, häufig im Abendanzug, auf dem Weg zu einer Gesellschaft oder, wie heute abend, zu dem zehn Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Zwangsarbeiterlager Plaszow, wo er mit Hauptsturmführer Göth speisen sollte, dem empfindsamen Kommandanten. Man wußte ferner, daß Schindler um die Weihnachtszeit freigebig mit Schnapsflaschen war, der Wagen durfte also ohne längeren Aufenthalt in die Vorstadt Podgorze passieren.
Gewiß ist, daß in dieser Phase seines Lebens Schindler, obschon ein Liebhaber von gutem Essen und guten Weinen, der Einladung zu Göth mehr mit Widerwillen als mit Vorfreude entgegensah. Tatsächlich hatte es ihm niemals Freude gemacht, in Gesellschaft des Kommandanten zu essen oder zu trinken. Doch der Abscheu, den Schindler bei diesen Gelegenheiten empfand, hatte für ihn etwas Aufreizendes, statt ihn zu ängstigen, flößte er ihm ein Überlegenheitsgefühl der Art ein, wie es sich auf mittelalterlichen Gemälden in den Gesichtern der Gerechten zeigt, welche auf die Verdammten blicken.
Schindler, tief in den Lederpolstern des Adler entlang der Straßenbahnschienen dahinjagend, die das bis vor kurzem bestehende Getto zweigeteilt hatten, rauchte eine Zigarette nach der anderen. Sein Kettenrauchen war aber nicht nervöser Art, die Hände blieben locker, die Bewegungen maßvoll. Man sah ihm an, daß er wußte, woher die nächste Zigarette, die nächste Flasche Cognac kommen würde. Er allein hätte uns sagen können, ob er der Stärkung aus dem Flacon
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