Schischkin, Michail
liebe
Arme, liebe Beine! Nehmt euch meiner an! - und dabei zu wissen: Die Liebe
wartet auf mich!
Aljoschenka!
Meine Sonne! Wie sehr ich dich liebe! Wie habe ich ohne dich leben gekonnt?
Ohne deine blauen Augen! Die sich so verwandeln können! Ich liebe es zuzusehen,
wie sie ihre Farbe wechseln: Mal schimmern sie lapislazuliblau, im nächsten
Moment grau, und manchmal, wenn die Pupillen sich weiten, werden sie ganz
schwarz.
Mit Shenja
war alles so kompliziert: sich anzukuscheln, zu küssen ... Mit Aljoscha ist
alles leicht und gut! Schrecklich nur, dass ich ihm nicht alles zu zeigen
vermag, meine ganze Zärtlichkeit, Liebe und Ergebenheit...
Wie schön
es ist, aufzuwachen und zu wissen: Heute sehe ich ihn!
4. November
1915. Mittwoch
Hausaufgaben
von Nina Nikolajewna: Allein zu Hause (eigentlich müsste ich aufräumen), stelle
ich mir vor, ich wäre in Diensten bei einer zänkischen Frau Baronin, die mir
ständig murrend nachläuft und der man nichts recht machen kann. Tu dies,
poliere jenes! Ich führe Selbstgespräche.
Aber dann
wanderten die Gedanken von alleine wieder zu ihm. Und nun sitze ich und
schreibe es einfach hin: dass ich ihn liebe.
5. November
1915. Donnerstag
Soll ich
lachen oder heulen? Das Stück verlangt von mir zu fallen »wie mit der Sense
gemäht«, und das übe ich nun schon den ganzen Abend in meinem Zimmer,
trainiere das Fallen - bis Mama erschrocken hereinkommt: »Ist was passiert?«
7.
November 1915. Samstag
Aljoschas
Mutter ist Epileptikerin. Wir saßen in seinem Zimmer, als der kleine Bruder
nach ihm rief. Wir rannten hinunter, da lag sie am Boden und hatte einen
Anfall, lang hingezerrt wie eine auf unsichtbaren Bogen gespannte Sehne. Schaum
trat ihr aus dem Mund - ich wischte ihn mit dem Taschentuch ab, während Aljoscha
ihren Kopf hielt. Die Augen verdreht. Sie hat sich eingenässt und lag hinterher
da wie tot. Armer Aljoscha! Es hat ihn sehr mitgenommen.
14.
November 1915. Samstag
Heute ist
etwas Grässliches passiert. Das mir in seiner ganzen Tragweite wohl noch gar
nicht bewusst ist. Habe nur das Gefühl, als wäre mein Innerstes schon ganz
davon ergriffen.
Wir
begannen die Probe wie gewöhnlich mit Übungen. Zu spielen war, dass einer von
uns soeben seine Geliebte getötet hat. Der Mord ist im Zimmer nebenan
geschehen, der Mörder kommt gerade heraus. Mehrfach rutschten wir vor Lachen
unter den Tisch - besonders als Viktor den Mörder spielte und so tat, als hätte
er sein Opfer zerstückelt und aufgegessen. Und dann gab mir Kostrow dieselbe
Situation vor: dass ich gerade nebenan meinen Geliebten ermordet habe. Ich ging
auf den Korridor, wo mich urplötzlich eine Lähmung ergriff: Ich und gemordet?
Meinen Geliebten? Welchen Geliebten? Morden - wie soll das gehen? Den Geliebten
- wie das denn? Ist Aljoscha mein Geliebter? Man ruft von drinnen nach mir, ich
rühre mich nicht. Begreife, dass ich so etwas nie, nie werde spielen können.
Nicht können und vor allem - nicht wollen. Wo ich denn bleibe, fragt Kostrow
missmutig. Ich ziehe mich mit einem Scherz aus der Affäre. »Ich hab ihn
vergiftet«, rufe ich, »und mich selber anschließend auch, jetzt liege ich tot
neben ihm.«
Alle
lachen, nur mir ist mit einem Mal ganz bang.
Was, wenn
ich am Ende doch keine Schauspielerin bin?
17.
November 1915. Dienstag
Lese den
letzten Eintrag und schaudere vor mir selbst: was ich hier für ein dummes Zeug
zusammenschreibe! Heute hat Aljoscha gesagt, dass er an die Front geht. Es ist
beschlossene Sache. Er hat es bis zuletzt hinausgezögert, mir etwas zu sagen,
um mich nicht zu verstimmen.
Ich war
bei Nina Nikolajewna und konnte mich nicht konzentrieren. Sie merkte sofort,
dass mit mir etwas nicht stimmt, und war sehr unzufrieden.
»Jede
Schauspielerin ist darauf aus, eine richtige Frau zu spielen - eine, die
verliebt und unglücklich ist.« Das verstehe ich nicht. Das ist nicht wahr. Das
darf nicht sein. Wieso darf eine richtige Frau nicht verliebt und glücklich
sein?
Während
sie mir vor dem Spiegel etwas vorführte - sie hat einen im Wohnzimmer,
dreiflügelig, riesengroß, man kann sich in voller Größe und aus jedem Winkel
sehen -, schaute ich ihr zu und dachte: so eine alte Frau und niemandem etwas
wert. Gott behüte, dass ich einmal so alt werde. Da sagte sie, als hätte sie
meine Gedanken gelesen: »Als ich noch jung und schön war wie du, hab ich das
Alter gefürchtet - so hat der liebe Gott mich gestraff.« Und nach einer Pause:
»Besser alt sein als
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