Schischkin, Michail
vor dem Pass, zu
gelangen, sich von einem Genossen des ansässigen Parteiaktivs über einen
verschneiten Pfad führen lassen mussten. Die Soldaten hatten es eilig, weil
sie fürchten mussten, den Befehl nicht in der vorgeschriebenen Zeit
auszuführen. Sie nahmen erst einmal nur die Männer mit und wiesen die übrige
Bevölkerung an, sich zur Umsiedelung zu rüsten, man komme wieder, sobald das
Wetter es zulasse. Im Gänsemarsch wurden die Männer den schmalen Weg längs des
Abgrunds hinabgeführt. Plötzlich umfasste ein Tschetschene den ihn
eskortierenden Soldaten und stürzte sich mit ihm in die Tiefe. Andere Gefangene
taten es ihm gleich. Die Soldaten eröffneten das Feuer. Alle Männer des Auls
starben.
Kleine
Jungen hatten das, was in der Schlucht geschehen war, aus der Ferne mit
angesehen, worauf sie nach Hause zurückkehrten und berichteten, wie ihre Väter
gestorben waren. Die alten Männer versammelten sich und beratschlagten, was zu
tun war. Da stand der Älteste auf und begann sich in dem alten Totentanz zu
drehen, wie seine Großväter und Urgroßväter ihn getanzt hatten. Und alle
Bewohner des Auls - Alte, Frauen, Kinder - traten in den Kreis und tanzten mit.
Man schwor einander, lieber zu sterben, als sich den Russen zu ergeben. Doch
der Ältestenrat kam zu der Auffassung, dass ein offener Kampf nicht möglich war
- sie hatten weder die Kraft noch die Waffen dazu. Darauf zu warten, dass man
vom Boden der Väter abgeführt würde, kam ebenso wenig infrage. Also
versammelten sich die verbliebenen Bewohner des Auls, bei sich nur das
Allernötigste, und brachen auf in die Berge, hinauf zum Pass.
Durch den
tiefen Schnee zu gehen war eine Mühsal, auch blies der Sturm sie immer wieder
um. Die Frauen trugen ihre Jüngsten auf dem Arm und pressten sie an sich, damit
sie nicht erfroren. Nicht alle erreichten den Pass: Die keine Kraft mehr
hatten, sanken in den Schnee und überließen sich dem Kältetod.
So liefen
sie lange, hatten jedes Zeitgefühl verloren, waren völlig erschöpft, drohten
im Schneesturm zu erfrieren. Da sahen die, welche zuvorderst gingen, auf einmal
eingangs des Tales Lichter. Da brannten Lagerfeuer mitten im Schnee, Menschen
lagen darum herum und schliefen. Es waren Griechen.
Die
Bewohner des Auls sprachen sie an: fragten, ob sie sich an den Feuern aufwärmen
dürften, baten um etwas zu essen. Die Griechen teilten mit den Tschetschenen
das wenige, was sie hatten. Xenophon versuchte den müden, durchfrorenen,
ausgehungerten Menschen, die kein Griechisch verstanden, begreiflich zu machen,
dass er seine Leute zum Meer führte. »Thalatta!«, rief Xenophon und wies den
Ältesten die Richtung zum Meer. »Thalatta!«
Und am
anderen Morgen machten sie sich gemeinsam auf den Weg.
26. Juli
1919. Freitag
Welch
schönes Gefühl, ein neues Heft anzufangen! Noch dazu mit guten Nachrichten!
Torschin, dieser ausgefuchste Bursche, hat uns doch tatsächlich Auftritte zu
den sogenannten Divertissements im Kinematografen Soleil organisiert! Sechs
Auftritte an Sonntagen - je drei am Tag und drei am Abend. Ein furchtbar
dämlicher Sketch, wird aber lustig werden. Der
hungrige Don Juan. Es geht um eine Liebeserklärung.
Ein Gymnasialschüler kommt mit nüchternem Magen zum Rendezvous - und fällt am
Ende auf die Knie, um zu bekennen... dass er Hunger hat. Torschin schnitt
während der Proben Grimassen, dass man sich das Lachen nicht verbeißen konnte.
Wir bekamen Lachanfälle, konnten gar nicht wieder aufhören... Reißen wir uns
endlich zusammen und finden zurück in den Text, läuft es eine Weile ganz gut,
aber dann brauchen wir uns bloß in die Augen zu sehen - schon krümmen wir uns
wieder vor Lachen. Behüte Gott, dass wir uns vor Publikum so aufführen!
Sechs
Aufführungen pro Tag! Wir werden im Geld schwimmen!
Und morgen
nimmt mich Pawel endlich einmal zur Nikitina mit! Zur
Creme de la Creme des Rostower Oswag!
27. Juli
1919. Samstag
Das nehme
ich Pawel übel!
Endlich
einmal hat er mich zur Samstagsgesellschaft der Nikitina mitgenommen. Der
reinste Salon, mit Eudoxia Fjodorowna als Fürstin! Hautevolee! Natascha
Rostowas erster Ball! Zum Aus-der-Haut-Fahren!
Dabei ist
die Nikitina eine charmante Frau - aber wen sie sich so alles ins Haus lädt!
Eine gewisse Mirtowa zum Beispiel, Dichterin aus Kiew, wenn ich nicht irre -
eine Aufschneiderin, die am lautesten von allen sprach und an den unpassendsten
Stellen ein dröhnendes Gelächter ausstieß, keinen zu Wort kommen ließ und
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