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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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was er zum Leben brauchte, bekam sogar ein Tagegeld,
während er voriges Jahr, als er in Kolomna verhaftet wurde, nur durch ein
Wunder der Erschießung entging. Seine Juden sind in
Russland vor der Revolution kein einziges Mal aufgeführt worden, Orlenew hat
bei Auslandsgastspielen daraus vorgetragen, das war alles. Nun sei ihm zu Ohren
gekommen, dass Glagolin das Stück in diesem Jahr im roten Charkow mit
Sinelnikows Truppe inszeniert habe, da sei Jesus im letzten Akt als Polizist
aufgetreten, den man geohrfeigt und angespuckt habe. Außerdem habe Glagolin die
Schauspielerinnen des Wolf-Studios völlig nackt durch den Saal springen lassen,
sie setzten sich zwischen die Zuschauer und so weiter. Auch die Valerskaja trat
splitternackt auf!
    Er wurde
nach Gorki gefragt. »Der Smerdjakow der russischen Revolution!«, beschied er
knapp. Weiß er denn nicht, von wem er redet? Gorki! Vielleicht ist es nur der
Neid, der solchen Hass entfacht? Ansonsten ist Tschirikow ein aufgeweckter,
witziger, ja, freundlicher Mensch. Man fühlt sich vertraut und ungezwungen mit
ihm. Mit seiner Fliege um den Hals, der makellos weißen Hemdbrust scheint er
der Vergangenheit entflattert. Wenn man bedenkt, wie viele Männer sich in
letzter Zeit gehen lassen, rapide heruntergekommen sind... Er hat sich
gehalten. Seine Frau ist die Schauspielerin Iolschina. Nach Rostow ist er
allein gekommen, sie ist mit den jüngeren Kindern auf der Krim, wo sie ein Haus
haben, die älteren sind verstreut über das ganze Land. Wie seltsam die Menschen
doch sind: Er, der nicht weiß, was mit seinem Sohn ist, ob er überhaupt noch
lebt, sitzt hier seelenruhig beim Samowar, schmaust Leberpiroggen, gibt Anekdoten
zum Besten.
    Und wer in
Abwesenheit der Gemahlin für die blütenweißen Hemden sorgt, das wüsste man
gern.
    Die
Piroggen waren übrigens ein rechter Fraß. Die Zähne blieben im unausgebackenen
Teig kleben. Augenscheinlich spielt die Gastgeberin des Salons ihr
demokratisches Köchinnenspiel noch nicht lange. Aber natürlich waren alle
höflich und voll des Lobes.
    Noch einer
war da, der in einem fort blöde Witze riss und aussah wie ein altgläubiger
Kaufmann aus dem Bilderbuch; erst ganz zuletzt erfuhr ich, dass es der
Filmfabrikant Trofimow war, der gerade irgendwo in der Nähe von Rostow mit
Oswag-Geld den Film Für ein einiges Russland dreht. Ich
raunte Pawel zu, er möge mich ihm vorstellen, und bekam zur Antwort, er sei ja
selber nicht mit ihm bekannt. - »Dann denk dir was aus!« - »Ja, gut,
Bellilein!« Das war es dann auch. Was sein »Ja, gut, Bellilein« bedeutet, das
weiß ich schon.
    Zum
Abschied schenkte die Nikitina jedem Gast ihren eben erschienenen Gedichtband Rosen im
Frühlicht. Der bezaubernden Isabelle, schrieb sie mir hinein.
    Zuletzt
wurde der Abend noch sehr lustig. Man besprach, worum es beim nächsten Mal
gehen sollte, und Nikitin schlug vor, aus seinen Memoiren zu lesen, an denen er
gerade sitzt, über die Belagerung des Winterpalais und wie die Provisorische
Regierung in Arrest genommen wurde... Da fiel ihm einmal mehr die Mirtowa ins
Wort und fing an zu erzählen, sie sei am Abend jenes 25. Oktober auch in
Petrograd gewesen, nämlich in der Oper, mit einem, mit dem sie seinerzeit ein
Verhältnis gehabt. Verdis Don Carlos im
Volkshaus, Schaljapin sang. Zu Anfang sei alles wie immer gewesen, das Theater
ausverkauft bis auf den letzten Platz, jedes Mal, wenn Schaljapin die Bühne
betrat, habe das Publikum zu rasen begonnen, die Dämchen auf der Empore in
hysterischem Gekreisch, und erst nach der letzten Pause, als der Vorhang sich
jeden Moment wieder heben musste, sei auf einmal das Licht im Saal ausgegangen.
Vollkommene Stille trat ein. Man saß im Dunkeln, es sei gespenstisch gewesen.
Dann ging ein Raunen und Wispern um, das Gerücht kam auf, ein Feuer sei
ausgebrochen. Gleich darauf ein Krachen, als würden hinter der Bühne die
Kulissen zu Kleinholz zerhackt. Aber keiner sprach laut ein Wort, alles blieb
sitzen. Wäre Panik ausgebrochen, hätte man einander vermutlich totgetreten.
Schließlich sei jemand im Dunkeln auf die Bühne gekommen und habe gesagt, es bestehe
keine Gefahr, der Strom werde in Kürze wiederkommen. »Und stellt euch vor, in
dieser Finsternis hat er mir einen Antrag gemacht! Dann ging das Licht an und
die Vorstellung weiter. Ich hatte gemeint, sie zerhacken die Dekoration, dabei
waren es Maschinengewehre, die schossen! Hach, irgendwann schreibe ich das auch
alles auf, das werden meine revolutionären

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