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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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jede
Gelegenheit nutzte, ihre Gedichte vorzutragen. Muss man sich derart aufführen,
um den Leuten zu gefallen - so vulgär und aufreizend? Jedenfalls schaffte sie
es, dass die Männer sie den ganzen Abend umschwirrten!
    Ich wurde
gebeten zu singen. Zierte mich gerade so viel, wie es sich gebührt, und spürte
sogleich die herablassenden Blicke der hauptstädtischen Prominenz. Wie mich das
anstachelte! Alle Schüchternheit wie weggeblasen, im Gegenteil, eine Art
fröhliche Bosheit kam auf, Leidenschaft: Gleich werdet ihr was erleben! Ich
gehe nach vorn, postiere mich, eine Hand an den Flügel, in der anderen das
Tüchlein. Und dann der Schlag. Pawel hatte gesagt, ich müsste mich um die
Begleitung nicht sorgen - und wer setzte sich nun ans Klavier? Die Mirtowa! Sie
spielte entsetzlich, hörte überhaupt nicht hin. Aber was sollte ich machen?
Ich fing an. Innerlich mit einem Riesengroll auf Pawel und auf diese Mirtowa,
die sich einbildete, es wäre ihr Konzert. Noch dazu knarrte unter ihr die ganze
Zeit der Stuhl! Man hätte im Boden versinken wollen!
    Und
dennoch - es war ein Erfolg! Tschirikow persönlich kam, mir die Hand zu küssen.
Er salbaderte, ich hätte eine große Zukunft vor mir, die Bühnen der Hauptstadt
stünden mir offen. Natürlich hört man solche Worte gern. Meine Stimme lobte er
über alle Maßen.
    Es
genügten ein paar routinierte Komplimente, wie sie diesen Herrschaften leicht
von der Zunge gehen - schon strahlte ich. Aber dass ich gut war, das fühle ich
selber!
    Pawel
geriet gleich wieder mit jemandem aneinander, irgendeinem Professor, der Name
ist mir entfallen. Zu mir ist er die ganze Zeit nicht gekommen, nicht einmal
nach dem Applaus! Und das war gut so - er hätte sonst vielleicht eine Ohrfeige
gefangen! Er hat von diesen Dingen wirklich keine Ahnung!
    Ein paar
Worte noch über die Prominenz. Man sitzt ja nicht jeden Tag mit den Säulen der
Gesellschaft am Tisch. Tschirikow las aus seinem neuen Roman. Ich konnte mich
vor Aufregung nicht konzentrieren, das Ganze ging an mir vorbei. Meine Beine
zitterten, ich kriegte mich nicht ein. Außerdem war es heiß, trotz der
geöffneten Fenster. Ich schwitzte, hatte das Gefühl, dass Nase und Wangen
glänzten - und man konnte ja schlecht hinausgehen, um nachzupudern. Das
Einzige, was ich mitbekam, war die Legende von dem Gefangenen, der viele Jahre
in Einzelhaft im Verlies hockt mit der Aussicht, auch den Rest seines Lebens
dort einzusitzen - bis er eines Tages mit dem Löffelstiel ein Boot in die Wand
ritzt, sich hineinsetzt und davonschwimmt - und als man das nächste Mal die Tür
aufschließt, um die Suppe hineinzureichen, ist der Kerker leer. Nach Ende
seiner Lesung, als der Applaus verklungen war, sagte Tschirikow noch: »Dieser
Roman ist mein Boot. Ich schreibe ihn fertig, nehme darin Platz und schwimme
davon.« Daraufhin schwiegen alle, das Schweigen wurde peinlich, da rettete die
Nikitina die Situation, indem sie die Sache ins Scherzhafte wendete: »Und das
sagt einer, der fünf Kinder zu Hause sitzen hat!« Eudoxia Fjodorowna ist eine
kluge Frau, kleidet sich aber schrecklich altmodisch. Da hat nun Paul Poiret
uns Frauen gelehrt, unseren Körper zu spüren und zu lieben - und sie...
    Anschließend
wurden alle ins Esszimmer gebeten und mit allerlei Gebäck bewirtet - von der
Gastgeberin persönlich fabriziert. Die Teetassen, aus denen man trank, waren
innen vergoldet, wovon der Tee aussah wie roter Wein. Ich saß neben ihrem
Mann. Man stelle sich vor: Ein ehemaliger Minister machte mir den Hof! Pawel
saß gegenüber, und anstatt eifersüchtig zu sein und seiner Braut vernichtende
Blicke zuzuwerfen, machte er sich über die Piroggen her und debattierte weiter
mit seinem Nachbarn. Womit aber suchte der Staatsmann seine Dame zu
unterhalten? Er sprach über Genossenschaften. Ein herzergreifendes Thema,
fürwahr! Es fiel auf, dass mein Kavalier, der mir unentwegt Kringel anbot, den
ganzen Abend kein einziges Wort mit seiner Frau wechselte. Während sich bei ihr
wohl etwas mit diesem Professor anbahnte, Ladyshenski heißt er, glaube ich.
Menschen zu beobachten kann unterhaltsam sein: wie sie ihn von Pawel loseiste,
beim Arm nahm und fortführte, um dann in einer Ecke auf ihn einzugurren...
    Danach
lauschten alle wieder Tschirikow. Der über seine Gefängnisaufenthalte erzählte,
unter dem Zaren und unter den Roten: Früher hat er einmal für eine Ode an den
Zaren gesessen; damals im Gefängnis durfte er schreiben, hatte
die nötige Ruhe und alles,

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