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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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wird selten gestorben, geboren dafür umso
mehr.«
    Musja ist
doch noch ein rechtes Kind.
    Ich übe
täglich, arbeite am Zwerchfell. Beim Einsingen stelle ich mir vor, die
Kolzowa-Seljanskaja stünde hinter meinem Rücken, ich höre mir zu mit ihren
Ohren, kritisiere mich selbst: Kehle freimachen! Oberlippe heben! Brust heraus!
Und ich spüre ihre Hand an meinem Zwerchfell. Hilft ungemein! Ich bin ihr
wirklich sehr dankbar.
    Muss mit
Pawel reden. Das quält mich.
     
    30. Juli
1919. Dienstag
    Machno ist
Schullehrer von Beruf. In Russland ist irgendwie alles sonderbar: Wie kommt ein
Lehrer dazu, Bandenchef zu sein und Pogrome anzuführen?
    Wollte zu
Pawel gehen und bin doch nicht gegangen. Morgen.
     
    31. Juli
1919. Mittwoch
    Mir ist so
froh ums Herz! Den ganzen Tag schon empfinde ich eine unerklärliche Freude.
    Den
Vormittag probten wir im Soleil. Der Saal kam mir riesig vor! Doch die Stimme
klingt sehr gut dort. Rogatschow wird mich begleiten. Er kommt aus Moskau, hat
seinerzeit als Konzertmeister an Mamontows Oper gearbeitet. Zuerst ging er
ziemlich hochnäsig mit mir um. Aber nachdem er mich singen gehört hatte, war
die Arroganz wie weggeblasen. »Sehr schön. Hätte ich nicht erwartet!«, kam sein
knappes Lob. Aus seinem Mund will das was heißen!
    Man spürt
bei ihm sofort die Erfahrung und die hohe Kunst. Ich bin sehr zufrieden. Wir
kamen überein, welche Romanzen wir in welchem Divertissement platzieren. Ich
solle mein Temperament zügeln, sagte er. »Man muss einen kühlen Kopf bewahren!«
    Nach der
Probe war ich noch in der Stadt spazieren. Die Sonne schien, ein leichtes
Lüftchen - schön! Auf der Sadowaja, zwischen der Teestube und Filippows
Konditorei, Betrieb wie auf dem Volksfest. Anscheinend geht es allen wie mir -
man möchte langsam glauben, dass die Schrecken ein Ende haben, dass endlich
wieder ein menschenwürdiges Leben anfängt.
    Und erst
die Schaufenster! Diese Seidenschals, Hüte, Kostüme, Parfüme, Schmucksachen!
Wie elegant die Kundschaft daherkommt! Wie viel geschniegeltes junges
Offiziersvolk in neuen Röcken! Allenthalben öffnen neue Cafés, Restaurants!
Überall Plakate: Theater, Kabarett, Konzerte! Endlich wieder ein normales
Leben, wie schön! Der Krieg, das war eine Krankheit. Nun ist die Welt wieder
wohlauf. Und auch Russland gesundet allmählich.
    Ecke
Sadowaja/Taganrogski drängt sich das Volk wie üblich vor der Vitrine mit der
großen Landkarte. Die Trikolorefähnchen rücken von Tag zu Tag höher. Die
Menschen warten darauf, dass in die dicke gelbe Kordel neues Leben kommt. Rege
Diskussionen, alle fühlen sich als Strategen. Die Schnur muss sich nur noch
etwas straffen, dann ist der Krieg vorbei! Dann gibt es ein Wiedersehen mit
Mascha, Katja und Njusja!
    Ich
schaute noch kurz in das Hotel, wo die Oswag ihren Sitz genommen hat, da
erläuterte ein hoher General, vormals Direktor einer Eliteschule, allen, die es
wissen wollten, an einem Schaubild das Kriegsgeschehen. Steckte in einem fort
Fähnchen um. Und wenn er die Arme hob, sah man die blank gewetzten Ellbogen seines
grauen Jacketts glänzen. Wie eine Szene aus den Drei
Schwestern: Moskau! Nach Moskau! Vorwärts nach Moskau!
    Joujou
lief mir in die Arme. Sie hat bei der Oswag eine Beschäftigung gefunden, liest
deren Publikationen zu Hause Korrektur. Ist ganz aufgeblüht. Sie trug ein
grünes Georgettekleid! Ihr Geschmack war noch nie besonders. Warum müssen
Blondinen immer unbedingt Quietschgrün tragen? Ihr stand es ganz und gar nicht.
Sie platzt jedenfalls vor Stolz, brüstet sich damit, Zucker, Mehl und Brennholz
aus Oswag-Beständen zu beziehen und sogar Weingeist aus Abrau-Durso! Man ließ
uns nicht lange schwatzen: Soldaten brachten schwere Bücherpakete geschleppt,
und Joujou hatte es ohnehin eilig. Sie arbeite in der Abteilung von Professor
Grimm, und wenn ich wolle, könne sie ein Wörtchen für mich einlegen. Sprach's
und stöckelte die breite Treppe empor - dem Klappern der Schreibmaschinen
entgegen.
    Das fehlte
noch! Als wüsste ich ohne Joujous Fürsprache nicht, wohin mit mir!
    Wenn ich
will... Ich will aber nicht!
    Ich weiß
genau, was ich will. Und wie ich es will, so wird es werden!
    Ich sah
ein Plakat: Monachow und die Jemeljanowa werden gastieren! Sobald ich Geld
habe, gehe ich und kaufe mir die besten Plätze.
     
    l. August
1919. Donnerstag
    Gestern
war noch alles gut! Heute bin ich gleich am Morgen wie in ein schwarzes Loch
gerutscht. Ich kam an den Aushängen des Soleil vorbei - da steht mein Name.

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