Schischkin, Michail
mimt augenzwinkernd den
Eishockeyspieler, der den Puck ins Tor befördern will. Dann hört das Unwetter
auf, ihr tretet ins Freie, wo die Sonne scheint und die Straße dampft. Die
Hagelkörner - wie Hühnereier so groß, als sie vom Himmel fielen - sind nun
schon auf Erbsgröße geschmolzen. Sieh nur, wie viele Blätter es erschlagen
hat!, witzelst du. Da ist bis zum Ende des Lebens nur noch ganz wenig Zeit.
Aber so ist es immer. Du warst ihr Tristan, warst es auch, ohne es zu wissen.
Die Auferstehung des Fleisches. Aus dem Nichts, aus der Leere des Raumes, aus
dem grauen Putz, aus dem dichten Nebel, aus einer Fläche Schnee, aus dem weißen
Blatt Papier tauchen plötzlich Menschen hervor, erstehen lebendigen Leibes, und
dies, um für immer zu bleiben; dass sie ein weiteres Mal untergehen, kann nicht
sein, denn den Tod haben sie ja schon hinter sich. Zuerst nur in Umrissen.
Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht. Vorzeichnung. Ein
Mensch erstreckt sich von der Ritze hier in der Wand bis zu dem Sonnenfleck dort.
Dehnt sich von den Fingernägeln zu den Zehenspitzen. Hände, Füße, Köpfe,
Brüste, Bäuche - alles aus dem Schnee, dem Nebel, der Weiße des Papiers
geholt, jetzt hier ausgelegt zur Identifizierung. Die Körper noch durchsichtig
wie der Schatten eines leeren Glases an der Wand. Die Realität ist nachgiebig.
Das Fleisch ersteht schrittweise. Hier fehlen noch die Arme, bei dem da die
Beine - so wie bei den Statuen im Vatikanischen Museum, und zwischen den Beinen
hat der Hammer gewütet. An der Stelle, wo das Schulterblatt beim Zurücknehmen
des Armes hervortritt, geht die Fläche in den Raum über. Spiel der Muskeln,
freiliegend noch, bevor die Epithelien darüber hinwuchern. Da kriechen sie,
noch nicht ausgeführt, nicht zu Ende gezeichnet, erheben sich auf die Knie.
Rasselnder Atem, dumpfes Lallen. So kehren sie zurück in ihre Haut. Blicken um
sich, die Augen noch blind. Lernen zu riechen. Kraxeln hervor aus dem Nichts.
Und wo die Dimensionen aufeinanderstoßen, kippen die Wand, der Schnee, der
Nebel, das Papier in die Zeit: Er aß die Granatäpfel mitsamt den bitteren
Häutchen und Kammerwänden, dies sei gut gegen Zahnstein, behauptete er; sie
wollte die Tür öffnen, doch das ging nicht, der Wind stemmte sich von der
anderen Seite dagegen; sie tranken aus federleichten Plastikbechern - man
musste schnell nachfüllen, damit sie nicht wegwehten. Der Abergläubische fährt
wie gewohnt zuerst in die linke Sandale und dann in die rechte. Mit angewiderter
Miene flößt er sich allmorgendlich ein Glas Eselsmilch ein, die der Ohrenkneiferarzt
ihm gegen die Schwindsucht verschrieben hat. Und der, dessen Nasenflügel sich
beim Singen immer so blähen, fährt nach Hause, bringt der Frau hundert Silberschekel
und singt, das Pferd äugt mit blauem Augapfel nach den Kühen mit den mistigen Eutern,
und der entgegenkommende Mann, der die Erfahrung in sich trägt, wie Hühner und
Schweine über die Brandstätte laufen und hochhüpfen mit kindlichem Gequietsche,
wenn sie auf heiße Asche geraten, er hat noch einen halben Tag zu gehen,
frühmorgens erst gelangt er ans Ufer, das über Nacht ganz verwildert ist, nur
eine Handvoll Leute in der Ferne - und der Sand hat vom Regen eine Kruste - er
tritt darauf mit nacktem Fuß und bricht ein. Und hier ist eine, die hat einen
verheirateten Mann geliebt. Hat, als er das erste Mal über Nacht blieb, die
Ikone mit einem Tuch verhängt, das sie hinterher wieder wegnahm. Sie besah sich
alles genau, stocherte mit dem Finger im Mottenloch. Wischte den Fußboden mit
dampfendem Lappen. Vor ihrer Abreise sagte die Mutter nur: Tau mal den
Kühlschrank ab - über die Liebe zu reden wäre wichtiger gewesen. Das Haar wurde
dünner und dünner, kam schließlich ganz abhanden. Sie habe die bewundernswerte
Gabe einer Katze, jeden beliebigen Punkt im Raum zur ihrer Behausung zu machen,
sich darin einzurichten, alle Ritzen, aus denen es zieht, mit Liebe zu
stopfen, sagt der Mann, der sie umarmt, es ist der Mann einer andern, und er
hat auch schon die Erklärung dafür: Das komme davon, weil der Frau immer einmal
der Wind durch die Seele pfeife, weil sie kein Haus in sich trage, sie sei sich
dort selbst fremd; diese Leere abzuschotten, brauche es Manneskraft. Sie mochte
es, in seinem Flachsbart zu schnüffeln. Irgendwo hat sie gelesen, es sei
zwecklos, jemanden am Tage mit dem zu halten versuchen, was in der Nacht
geschehen ist. Sie saß im Warteraum der Poliklinik, schaute auf
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