Schischkin, Michail

schon im Bett lag
und die Kerze gelöscht war, setzte sich auf das schmale Korbsofa, stützte den
Kopf in die Hände und döste. In tiefer Nacht ging er auf Zehenspitzen hinüber
in sein Zimmer, wo er dann im Halbschlaf auf dem Sofa saß. Wenn der Morgen
graute, schlug er sein Bett auf, damit das Dienstmädchen sah, dass der Bewohner
dieses Zimmers die Nacht wohl verbracht hatte, und sich nicht sorgen musste. Er
hatte Angst, im Schlaf zu sterben, blieb deshalb nachts lieber wach. Nein,
diese Luft! Beim Einatmen meint man, siebenhundert Engel oder mehr hielten
Einzug in die Nasenflügel. Da überkommt einen oft der unbändige Wunsch, ganz
Nase zu werden - Augen, Arme und Beine, alles verzichtbar - man möchte eine
gigantische Nase sein mit eimerbreiten Nüstern, nur um möglichst viel
einzusaugen von dieser Frische, diesen Frühlingsdüften. Als ich vor Gogols
Leichnam trat, schien er mir gar nicht tot zu sein. Der lächelnde Mund und das
nicht ganz geschlossene rechte Auge ließen an einen lethargischen Schlaf
denken, weshalb ich mich nicht gleich entschließen konnte, ihm die Maske abzunehmen.
Er hatte gefürchtet, nicht sterben zu können. Auferstehen lassen muss man auch
jene Korbflasche: Beim Kartenspiel wurde trockener Wein getrunken, und Gogol
zog geschickt die Schicht Olivenöl ab, die den Spiegel in der bauchigen Flasche
bedeckte, damit der Wein luftdicht abgeschlossen war und nicht verdarb.
Gegenstände gehören genauso zum Fleisch. Der bemooste Ziegelstein im wuchernden
Phlox an der Datscha, unter dem der Tausendfüßler sitzt. Der Plattenspieler im
Souterrain am Starokonjuschenny, dessen Tonarm mit blauem Isolierband umwickelt
ist. Und jene Kälte vor vielen Jahren, als der Metroeingang von großen
Eisbeulen überzogen war und der Hausmeister eine Mischung aus Sand und Salz
streute, die aber nur noch schneller gefror - alles Fleisch. Auch Farben. Auf
dem Fensterbrett der Becher mit bunten Filzstiften - gegen das Licht wirken sie
alle schwarz. Das Klobecken rot vom eisenhaltigen Wasser oder vom Rost in den
Rohren. Zahnfleischbluten - die Bürste voll rosa Schaum. Und erst die
Honigaquarellfarben! Auch Klänge. Plötzlich waren die Uhren zu hören. Als
wären sie frisch geschlüpft, als hätten sie die längste Zeit geschwiegen und
nun aufzubrechen beschlossen, zuerst die Wanduhr, ganz betulich, dann in
kleinen Hüpfern der Wecker auf dem Tisch. Die alten Platten knackten wie Holz
im Ofen. Im Kino rollte eine leere Flasche auf dem Fußboden hin und her.
Auferstehen müsste auch noch jenes Gelächter in der Gummifabrik, als man das
Fließband anhalten musste. Auch die Stille, auch die Leere. Die leeren Menschen,
die man in Pompeji fand. Absenzen. Huren, die es nicht gibt. Auch was nicht
ist, ist Fleisch. Stille, das ist genauso ein aus der Sprache geborenes Tier
wie die im Zimmer eingesperrte Leere oder wie der Widerschein der Laternen
nachts auf dem nassen Kopfsteinpflaster, der sich vegetativ fortpflanzt, durch
Knospung. Oder wie diese Fingerabdrücke am Himmel, ach nein, das sind nur
Vögel, der eine Schwarm hat sich in mehrere geteilt. Der Mann hieß Esche, die
Frau Ulme. Adam herrschte über den Osten und den Norden des Paradieses, ich
hütete den Westen und den Süden. Adam herrschte über die Tiere männlichen
Geschlechts, ich herrschte über die Tiere weiblichen Geschlechts. Dereinst am
Jüngsten Tag werden die Huren gequält und die Agrotechniker. Und ich sah einen
feurigen Fluss, und eine große Menge von Männern wie auch Frauen war in ihn
geworfen, einige bis zu den Knien, andere bis zum Nabel, viele aber auch bis
zum Scheitel.
    Frage: Wer sind
die in dem Feuerwasser?
    Antwort: Das sind
die, die heiß und kalt nicht fühlen. Denn sie waren nicht unter den Guten und
Frommen, wiewohl sie ihr Leben bis zuletzt auf Erden fristeten, denn sie
befolgten an manchen Tagen Gottes Gebote, an manchen wieder lebten sie in
Unzucht und Ehebruch, und so taten sie unausgesetzt.
    Frage: Warum
bist du nackt?
    Antwort: Weißt du
denn nicht, dass du selber nackt bist? Denn du trägst das Fell irdischer
Lämmer, das verfaulen wird mit deinem Leib. Ich aber, der ich in den Himmel
schaute, sehe mein Gesicht und meine Kleider, wie sie sind, in ihrer wahren
Gestalt.
    Frage: Aus wie
vielen Teilen besteht die Seele?
    Antwort: Aus
dreien. Als da sind die vernünftige Seele, die muthafte Seele, die begehrende
Seele.
    Frage: Wie viele
Götter gibt es eigentlich?
    Antwort: Siebenhundertsiebenundsiebzig.
    Frage: Und