Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
gepflastert, die alt und
abgewetzt aussahen wie die Platten auf der Via Appia. Ich fragte einen Padre
nach den Fußabdrücken. Er deutete mit dem Kopf auf einen Seitenaltar rechts
vom Eingang. Davor war ein Gitter und Glas. Drinnen war es dunkel, man sah
nichts, das Glas spiegelte. Ich schaute nach, ob sich vielleicht irgendwo eine
Münze einwerfen ließ - das haben sie hier in den Kirchen manchmal, dass man
bezahlen muss, damit für kurze Zeit das Licht angeht - fand aber nichts.«
    »Und damit
hatte es sich?«
    »Tja.«
    »Nicht
gesehen, die Platte?«
    »Nein.«
    Neben dem
Dolmetsch hat sich ein alter Mann mit Rucksack auf dem Geländer niedergelassen:
in Shorts und T-Shirt, Panamahut und Bergschuhen. Auch ihm baumelt ein
Fernglas um den Hals. Seine welken weißen Beine sind vollkommen unbehaart.
Lächelnd hält er dem Dolmetsch das Fernglas hin: Wollen Sie auch mal? Der
Dolmetsch richtet das Glas auf die Säule. Es vergrößert stark. Das Erste, was
er erkennt, ist ein abgeschlagener Kopf. Wohl ein Sarmate. Darüber ein Reiter
mit Kräuselbart: vielleicht der Philosophenkaiser höchstselbst, der gesagt
haben soll, dass ihm an der Wiederbelebung Toter mehr gelegen sei als am
Todesurteil für Lebende. Und noch weiter oben Paulus mit dem Schwert. Das
Schwert ist lang. Geeignet zum Abschlagen von Sarmatenköpfen, darf man
annehmen. Der Dolmetsch reicht das Glas an Galpetra weiter. Sie schaut nur kurz
auf die Säule und dann eingehender auf die Straße, die Fensterfronten, die
Fußgänger und die Tauben.
    »Sieh dir
das an. Ganz die Moskauer!«
    Die Tauben
flitzen um ihre Füße.
    »Galina
Petrowna!«
    »Ja?«
    »Was ich
Ihnen schon lange mal sagen wollte...«
    »Was
denn?«
    »Es ist
eigentlich blöd, aber...«
    »Nun sag
schon!«
    »Wissen
Sie, ich hab mich all die Jahre immer gefragt...«
    »Du meinst
den Zettel auf meinem Rücken?«
    »Ja. Das
heißt, nein, eigentlich etwas ganz anderes. Was ich Sie fragen wollte: Wie kann
es sein, dass Sie uns liebten, obwohl wir Sie gehasst haben?«
    Der alte
Mann in den Shorts macht Anstalten weiterzugehen, klatscht sich auf die dünnen
Oberschenkel, dass die Tauben in seiner Nähe erschreckt aufflattern. Die
Galpetra gibt ihm das Fernglas zurück, der Riemen bleibt an ihrem Ärmelknopf
hängen.
    »Ach, Ihr
habt mich doch genauso geliebt, nur ohne es zu wissen ... Ist Korczak
eigentlich je in Rom gewesen?«
    »Keine
Ahnung«, sagt der Dolmetsch achselzuckend.
    Tauben und
Touristen aufscheuchend, sind irgendwelche Demonstranten auf den Platz
geströmt, schwenken Plakate, entrollen Transparente. Einer testet sein
Megafon, indem er die ganze Piazza Colonna mit Gesang beschallt: amore,
amore, amore!
    Die
Galpetra zieht die Stiefel wieder an, knüpft sich die Bänder der
Museumspantoffeln um die Knöchel.
    »Dann muss
ich mich also weiter mit der Frage quälen, wo Laokoon den Arm hinreckt...«
    »Das ist
gar nicht Laokoon, Galina Petrowna.«
    »Wie,
nicht? Wer denn sonst?«
    »Korczak.«
    »Was
redest du da?«
    »Es ist
Janusz Korczak mit den zwei Kindern, die an seiner Hand in die Gaskammer
gegangen sind. Sie ersticken gerade. Schön ist das ganz und gar nicht. Was
interessiert das Muskelspiel an ihren Körpern? Und wo Korczak seinen Arm
hinreckt?«
    »Du
bringst alles durcheinander! Alles auf der Welt wirfst du in einen Topf! Du
bist nämlich ein großer Wirrkopf. Wer nämlich mit h schreibt, ist dämlich!
Laokoon ist das eine, und Korczak ist etwas ganz anderes. Ein Kaiser kann nicht
Philosoph sein, ein Philosoph kann nicht Kaiser sein. Die Offiziere von Sewastopol
und Berninis Engel sind grundverschiedene Dinge. Die alten Griechen sind das
eine, die Tschetschenen das andere. Die Museumsfilzpantoffeln im ungeheizten
Museum von Ostankino einerseits, das Kind, das ich im Bauch hatte,
andererseits. Begreif doch, der weißrussische Bursche, der da in den Hörer
schniefte, ist eine Sache für sich und der Vogelstrumpf - schau, jetzt hat er
sich in eine Nase verwandelt! - genauso. Der Fuß des Petrus hat nichts zu tun
mit den Fotos der Aussätzigen, du entsinnst dich, im Vatikan, am Obelisken auf
dem Platz vor dem Dom, haben sie Geld für Leprakranke gesammelt, darum hingen
dort Plakate mit Fotos von Kindern und Erwachsenen, die keine Finger und keine
Zehen mehr hatten. Sie wandte sich ab, um es nicht sehen zu müssen...«
    »Stimmt,
wir standen in der Schlange vor dem Petersdom. Windböen wehten das Wasser aus
der Fontäne als Sprühregen zu uns herüber, fein wie Staub. Vor uns stand

Weitere Kostenlose Bücher