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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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leichten,
luftigen Stoff. Der blieb an einem Brombeerzweig hängen und riss ein bisschen
ein. Lenka war untröstlich wie ein Kind. Lenka, mach dir nichts draus, sagte
ich zu ihr, ich liebe dich doch. Das hatte ich noch nie zu irgendwem gesagt.
    Frage: Hatten Sie
vor zu heiraten?
    Antwort: Ja. Aber
dazu kam es nicht mehr. Das Aufgebot war schon bestellt, das Hochzeitskleid
ausgesucht, sie lag mir in den Ohren, weil sie mit mir ins Atelier gehen und es
anschauen wollte, ich hatte immer keine Zeit dazu.
    Frage: Aber dem
Däumelinchen war es nach dem Abzählreim beschieden, einen Kröterich zu
heiraten.
    Antwort: Und so kam
es auch. Was ich natürlich erst später erfuhr.
    Frage: Sie sind
also nach Hause gekommen.
    Antwort: Genau. Ich
kam an dem Tag nach Hause, und augenblicklich hing sie an meinem Hals.
Flüsterte mir ins Ohr, und es klang irgendwie sonderbar, ganz ernst: Wie lange
du mich hast warten lassen! Wir setzten uns zum Abendessen. Sie warf unter dem
Tisch einen Pantoffel ab, streichelte mit dem Fuß meinen Knöchel. Tolja, ist
irgendwas passiert?, fragte sie mich. Nein, nein, alles in Ordnung, sagte ich
lächelnd, iss nur. Sie stand auf, kam um den Tisch herum, setzte sich mir auf
den Schoß. Ihre Hände packten meine Ohren - diesen Griff mochte sie, meinen
Kopf wie ein Lenkrad zu drehen - schaute mir ins Gesicht und sprach: Ich spüre
doch, dass etwas ist. Was ist passiert, sag! Da erzählte ich ihr alles: von dem
Untier, den Spuren im Schnee.
    Frage: Wie
reagierte sie?
    Antwort: Sie
erschrak. Etwas muss geschehen, sagte ich zu ihr. Sonst kommt keiner lebend
davon. Diese Bestie beißt allen den Kopf ab. Lenka, sag, was soll ich bloß
tun?, jammerte ich, legte die Arme um sie. Sie schmiegte sich fest an mich:
Mein Liebster! Du bist doch stark, du kannst alles! Geh raus auf den Platz,
knie nieder, schlag ein Kreuz zum Kirchturm hin und sag, du wärst nur ein
Härchen in ihrem Fell. Dann wird alles gut.
    Frage: Und Sie?
    Antwort: Ich fühlte
mich auf einmal sehr einsam. Nie zuvor hatte ich dieses Gefühl so heftig
empfunden: dass ich allein war. Selbst in ihren Armen. Mutterseelenallein.
    Frage: Hatten Sie
mehr von ihr erwartet?
    Antwort: Ja. Was
wahrscheinlich falsch und blöd war, aber ich hatte anderes erhofft, als sie
schreiend aus der Küche rennen zu sehen, ins Wohnzimmer rüber: Mag sein, dass
es mir an Gehirn fehlt, rief sie, aber ich habe eine Gebärmutter und möchte ein
Kind von dir gebären! Von einem Vater, der bei mir ist und mich liebt! Dann
brach sie in Tränen aus. Ich ging weg und verbrachte die Nacht auf dem Revier.
Warf mich auf der Holzbank von einer Seite auf die andere, grübelnd, was zu tun
war. Am Morgen rief mich Daddy zu sich und schickte mich auf eine sinnlose
Dienstreise. Geh dahin, weiß nicht wohin, hol mir das, ich weiß nicht was.
    Frage: Aber damit
hat er Sie gerettet! Aus der Schusslinie genommen. Bis sich alles beruhigt und
gelegt haben, vergessen sein würde.
    Antwort: Gut
möglich. Heute denke ich das auch. Als ich nach Hause kam, war Lenka weg. Und
das war mir recht - ich mochte sie gar nicht sehen. Ich begann zu packen,
fahren musste ich so oder so. Es klingelte an der Tür. Ich machte auf, da stand
eine Frau, nicht mehr ganz jung, dem Anschein nach intelligent, mit Hut und
Reisetasche. Wie sich herausstellte, war es die Mutter der Frau, die man
aufgrund der Revision verurteilt hatte. Was wollen Sie?, fragte ich. Ihnen nur
einmal in die Augen sehen, weiter nichts. Ich schlug ihr die Tür vor der Nase
zu.
    Frage: Und so
kamen Sie dem Dienstreiseauftrag nicht nach, sondern begannen auf eigene Faust
zu ermitteln, weil Ihnen immerzu diese Frau vor Augen stand, und Sie hielten es
für Ihre Pflicht, deren Tochter aus dem Gefängnis zu holen? Ein Guter gegen das
versammelte Böse? Ein einsamer Held gegen die Nebelwand? Und das Untier war in
Ihnen?
    Antwort: Nein. Oder
wahrscheinlich doch. Das heißt, es war alles noch anders. Ich fuhr in dieses
Weiß-nicht-wohin, und tatsächlich stand mir die ganze Zeit diese Frau vor
Augen, ihr Blick. Losgefahren bin ich im Winter, am nächsten Tag war Frühling
um mich her. Ich lag auf der obersten Pritsche und sah durch das Fenster, wie
die Bäume es trieben. Die Gedanken verhakten sich immer wieder an diesem
Brombeerzweig. Und am nächsten Morgen war schon kein Frühling mehr, sondern
Sommer, oder besser gesagt: gar nichts. Wüste. Aber keine aus Sand. Steinwüste.
Ich ging über Steine und suchte das Weiß-nicht-was. Nachts sah ich

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