Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
das
weiß jedes Kind. Dass der lebende König der Entourage seines toten Vorläufers
den Garaus macht, tut er nicht für ihn, sondern für sich. Damit das jetzige
Personal sich keine Illusionen macht. Das schafft sozusagen eine Sicherheits-
und Fürsorgegarantie.
    Frage: Wussten
Ihre Mitmenschen von dieser Arbeit?
    Antwort: Als ich
Geld zu verdienen anfing, wollte ich meiner Mutter ein Geschenk machen. Was
hatte sie denn in ihrem Leben schon gesehen? Sie war im Kinderheim
aufgewachsen, hatte all die Jahre in einer Gummifabrik gearbeitet. Immer wenn
ich als Kind irgendein Spielzeug erbetteln wollte, brachte sie die Rede auf das
Heim. Dort hatten sie keine Schulhefte gehabt, zum Schreiben musste gebrauchtes
Papier herhalten, manchmal taten es sogar Zeitungsränder. Tinte gab es auch
keine - Ruß aus dem Ofen wurde in Wasser gerührt. Und die Kinder klauten einander
das bisschen, was sie hatten, der Stärkere dem Schwächeren: Schreibfedern,
Bleistifte, Brot. Wollte ich meine Suppe nicht essen, erzählte sie, dass man
ihr an ihrem ersten Abend im Heim einen Napf Suppe vorgesetzt hatte, in der
tote Fliegen schwammen; den habe sie verschmäht. Aber das kam nie wieder vor,
sie lernte zu essen, was auf den Tisch kam, leckte den Teller aus, auch wenn
der Nachbar hineingespuckt hatte. Im Krieg wurde das Heim nicht evakuiert, die
Heimleitung war einfach auf und davon, nur die Kinder und die Tanten waren
geblieben. Die Deutschen verlangten das Verzeichnis der Heimkinder zu sehen,
die Tanten gaben es ihnen und griffen sich erst hinterher an den Kopf: In den
Listen war ja die Nationalität vermerkt. Die Deutschen kamen wieder und
sammelten die Kinder ein, die als Juden in den Listen standen. Erst hieß es,
ins Getto, aber später erfuhr man, dass sie erschossen worden waren. Mir war,
was sie berichtete, schon damals so fern wie das Märchen vom König Drosselbart;
für sie war es gestern gewesen. Auch von der Arbeit in der Gummifabrik erzählte
sie ab und zu: Da hatte sie Schuhleisten in den Gummi zu tauchen, in der
Galoschenfertigung. Als mein Vater gestorben war, konnte sie während der Arbeit
ihre Tränen nicht zurückhalten, sie tropften auf den Leisten. Das, so wusste
sie, bedeutete Ausschuss, wo eine Träne hinfiel, hielt sich kein Gummi -
aufhören zu weinen konnte sie trotzdem nicht. Außerdem war die Lüftung
schlecht, Vergiftungserscheinungen machten sich bemerkbar, besonders bei denen,
die mit dem Kleber hantierten. Fing eine an zu lachen, so lachte kurz darauf
das ganze Band. Dann musste man es schnell abschalten und die Leute
besänftigen, zur Ruhe kommen lassen. Ich fuhr also zu ihr - da lebte sie noch
allein, erst später zog sie zur älteren Tochter, meiner Schwester, nach
Podlipki. Die ist Lehrerin, man kann mit ihr nicht normal reden, immer kommt
sie gleich auf ihre Schule zu sprechen, und was das für Zustände seien, mit
diesen ganzen Drogen. Da möchte man doch gar keine Kinder mehr kriegen, sagt
sie, wozu ziehe man die groß, wenn dann irgend so ein Drecksack des Wegs kommt
und bietet ihnen im Treppenhaus die Spritze an. Solche, die unsere Kinder an
die Nadel bringen, gehören an den Galgen, jawohl! Öffentlich! Auf den
Marktplätzen! Ich fahre also zu meiner Mutter, im guten Anzug, teure Uhr, die
Schuhe alleine kosten so viel, wie ihr ganzes Fließband wohl im Leben nicht
verdient hat. Mutter, sage ich, sieh mal, ich hab dir eine Reise nach Ägypten
gekauft. Du setzt dich ins Flugzeug und guckst dir die Welt an! Da heult sie
gleich wieder los. Ich nehme sie in den Arm, streichle ihren Kopf, sie ist im
Alter geschrumpft, ihre Nase stößt in meinen Bauch. Mutter, frage ich, was hast
du denn? Ach, Tolik, mein Söhnchen, das war doch nicht nötig, ich hab doch
alles, was ich brauche, Hauptsache, dir geht es gut, dann bin ich zufrieden.
Aber wieso denn, Mutter? Bedenke, Ägypten! Das ist die Wiege der Zivilisation!
Pharaonen! Pyramiden! Mumien!... Sie ist jedenfalls nirgends hingefahren. Auf
ihrem Fensterbrett hatte sie ein großes Einweckglas stehen mit einem Kefirpilz
darin. Sie schlug mir jedes Mal vor, auch einen zu züchten, aber ich hatte
keine Lust, mich mit diesen Gläsern zu beschweren. Zumal mein Besuch immer bloß
fünf Minuten dauerte. Das nächste Mal!, vertröstete ich sie und war schon
wieder weg. Sehe sie noch in der Tür stehen mit dem Glas in der Hand.
    Frage: Sie haben
eine Frau mit Kind geheiratet. Kennen Sie dessen Geschichte?
    Antwort: Nein. Die
Vorgeschichte hat mich nicht interessiert.

Weitere Kostenlose Bücher