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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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die Männlein waren heilfroh und herzten sich.
Die heiße Hand wärmte die kalte und rettete ihr so das Leben, nahm sie mit zu
sich unter die Decke: wärme, wärme!... Noch dazu musste ich die ganze Zeit an
Lenka denken. Wie sie die Unterlippe vorschiebt und sich die Strähne von den
Augen pustet. Wie ich sie in die Badewanne setze und wasche, mit dem Schwamm
grad wie ein kleines Kind, ins Handtuch hülle, kämme, zu Bett trage. Gleich
mehrmals träumte ich, ich käme frei und nach Hause, es ist schon spät, ich
schließe die Tür auf, gehe auf Zehenspitzen ins Zimmer und sehe sie schlafen,
den Kopf unter die Decke gezogen, nur die Haare fließen über das Kopfkissen.
Dann aufzuwachen und in der Baracke zu liegen ist grässlich.
    Frage: Und wie
war die Verpflegung?
    Antwort: Auf das
Fressen kommt es nicht an. Aber wissen Sie, worauf noch? Auf das Wort.
    Frage: Welches?
    Antwort: Nein,
überhaupt. Was man sagt. Für jedes Wort trägt man die Verantwortung. Im Grunde
gibt es dort kein anderes Gesetz als das Wort, für das du einzustehen hast.
Nehmen wir an, du bist neu in der Zelle. Das Essen ist knapp, aber Esser sind
viele, mittags und abends herrscht immer Gedränge. Du hast jemanden angestoßen,
die Suppe ist ihm aus dem Napf geschwappt. Natürlich ist es aus Versehen
passiert. Aber »aus Versehen« ist ein Wort, das dort nicht existiert. Du hast
den Mann um sein Essen gebracht! Also bietest du ihm deins an: Tut mir leid,
hier, iss mal. Und kriegst zur Antwort: Deinen ranzigen Fraß soll ich
fressen? Er hat dich ranzig genannt, was gleichbedeutend mit Büßer ist. Und
wenn du das unerwidert lässt, hast du dir deinen Platz selbst zugewiesen. Man
hat dich beschuldigt; weist du die Beschuldigung nicht von dir mit allem, was
in dir steckt, dann heißt das, sie ist rechtens. Und keiner wird dir dabei
helfen. Du musst dich selbst verteidigen. Eine Prügelei ist unausweichlich,
und du musst sie bis zum bitteren Ende führen. Denn hast du dich einmal
einverstanden erklärt mit diesem einen Wort - dann bist du es.
Dann müssen dich die anderen erniedrigen. Und
du hast nichts mehr zu lachen. Ein Wort, was ist das schon, werden Sie sagen...
    Frage: Aber
jemand muss einem als Neuem doch erst einmal erklären, was man darf und was
nicht.
    Antwort: Keiner
erklärt dir irgendetwas. Es lässt sich ja gar nicht erklären. Das ist wie
Luftholen. Du atmest, und sie strömt ein. Fragst du erst: Darf ich...?, dann
musst du die Frage gar nicht zu Ende stellen, die Antwort ist: Nein. Der Mensch
darf nur das, was er für sich als machbar erachtet. Einfacher gesagt: Du darfst
alles - nur dass du für alles, was du tust und sagst, die Verantwortung
trägst. Für jeden Schritt und jedes Wort. Ich habe erst dort begriffen, wo
Freiheit anfängt. Freiheit ist nicht da, wo kein Stacheldraht ist, nein.
Freiheit ist da, wo keine Angst ist. Freiheit ist, wenn dir keiner vor den
Karren fahren kann. Weil du nichts zu verlieren hast. Du hast dein Wort
gesprochen und wirst dafür aufs Ganze gehen.
    Frage: Sie haben
sich dort frei gefühlt?
    Antwort: Ein Mal
ja. Und zwar richtig. Die Chefs wussten Bescheid über mich: wer ich bin, woher
ich kam. Und so bestellten sie mich zu sich und sagten: Du bist von jetzt an
unser Zuträger. Wenn nicht, liefern wir dich aus. Und in dem Moment fühlte ich
mich auf einmal so frei wie nie zuvor im Leben. Ich bin kein Härchen!, habe ich
zu ihnen gesagt.
    Frage: Und? Warum
sprechen Sie nicht weiter?
    Antwort: Was gäbe
es noch zu sagen?
    Frage: Was
geschah daraufhin?
    Antwort: Das wissen
Sie doch. Warum stellen Sie so unnötige Fragen.
    Frage: Verstehe.
Sie mögen nicht davon erzählen, wie es war.
    Antwort: Nein.
    Frage: Das müssen
Sie auch nicht, wenn es Ihnen schwerfällt. Ich übernehme einfach die
betreffende Stelle aus dem Abzählreim ins Protokoll.
    Antwort: Schreiben
Sie, was Sie wollen.
    Frage: Gut, ich
schreibe so: Einen starken und gesunden Mann kleinzukriegen ist gar nicht so
einfach. Sie wurden in den Strafarrest gesteckt. Nachts, Sie waren gerade
eingeschlafen, legte man Ihnen ein mit Sperma besudeltes Handtuch aufs Gesicht.
Sie sprangen auf - doch ehe Sie die für den Notfall gebunkerte Rasierklinge zu
fassen kriegten, ging ein schwerer Gegenstand auf Ihren Kopf nieder. Der
Sanitärbereich der Zelle ist durch ein halbhohes Blechschild mit Querbalken
abgetrennt, über diesen Balken wurden Sie gezwungen, und einer nach dem anderen
verging sich an Ihnen. Anschließend wurde Ihnen noch der Besenstiel in

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