Schischkin, Michail
Ich habe auf diesen Menschen - meine
Tanja - so lange gewartet, dass alle Geschichten darum herum unwichtig sind.
Und auch sie hat auf mich so lange gewartet, dass alles Übrige keine Rolle
spielt. Was zählt, ist: einzuschlafen und zu wissen, dass sie neben mir liegt,
mich anschaut, den Kopf auf den Ellbogen, den Ellbogen ins Kissen gestützt.
Oder ihre Hand zu nehmen und mir vor die Augen zu legen. Morgens vom
Bügelgeruch zu erwachen: Sie bügelt, und ein duftender Dampf steigt vom
Bügelbrett auf. Ich rufe sie von der Arbeit aus an, frage: Gibt's was Neues?
Ja, sagt sie, ich liebe dich noch mehr. Wenn ich verreisen musste, packte sie
meine Tasche und verstaute kleine Zettel darin: Ich küsse dich, oder: Ich sehne
mich, komm bitte recht bald wieder. Oder: Halt dich gerade! Keine krummen
Rücken! Oder: Heute wirst du von mir träumen. Sie wusste, wie man sich in
fremde Träume schleicht.
Frage: Und mit
dem Kind, war das nicht schwierig? Ein fremdes, immerhin...
Antwort: Romka? Den
mochte ich vom ersten Moment an. Er war natürlich zuerst etwas bockig. Verkroch
sich in eine Ecke und schwieg. Meine Frau hat erzählt, mit fünf habe er ihr
eröffnet, sie später einmal zu heiraten. Er konnte es nicht ertragen, wenn sie
mit einem fremden Mann sprach - gleich gab es Szenen, Hysterie, Tränen. Ein
echter Beschützer. Er ließ nichts auf sie kommen. Einmal an der Bushaltestelle
ging er mit seinen kleinen Fäusten auf einen Betrunkenen los. Wollen wir
Seifenschiffe bauen?, habe ich ihn gefragt. Wir legten uns eine kleine Flotte
zu: Schlachtschiffe, Zerstörer, U-Boote. Man nimmt ein Stück Seife, schneidet
es in fingerdicke Scheiben. Daraus schnitzt man mit einem alten Rasiermesser
den Rumpf, Deckaufbauten, Geschütztürme, Rettungsboote. Masten und
Kanonenrohre aus Draht. Das Tauwerk aus Bindfäden. War die Seife etwas
abgetrocknet, konnten wir die Schiffe mit schwarzer Tusche anpinseln. Und schon
schwamm ein komplettes Flottengeschwader auf dem Tisch, U-Boote inklusive!
Romka war nicht loszueisen davon. Ach, könnte man doch reingehen in die
Offiziersmesse!, jammerte er ein ums andere Mal. Seiner roten Haare wegen sagte
ich manchmal aus Spaß Feuerlocke zu ihm, da blies er die Backen auf. Als wir
aufs Standesamt gingen, adoptierte ich ihn bei der Gelegenheit gleich mit. Kaum
hat er buchstabieren gekonnt, las er alle Schilder vor, an denen wir
vorüberkamen. Auch die Adoptionsurkunde nahm er her und las sie in abgehackten
Silben vor. Dann fragte er: Wie ist das, Tolja, bist du jetzt mein Papa? Was
heißt: jetzt?, fragte ich zurück. Das war ich doch schon vorher. Jetzt haben
wir's schriftlich.
Frage: Aber Ihrer
Frau lag viel daran zu erzählen, was damals passiert war?
Antwort: Vermutlich.
Ich denke, ja. Und es hat sie gequält, dass sie es nicht konnte. Ich habe darum
auch nicht nachgefragt.
Frage: Würden Sie
es wissen wollen?
Antwort: Ja. Sie
hat ja auch gewollt, dass ich es erfuhr. Es konnte nur keiner außer ihr davon
erzählen. Oder wissen Sie, was damals geschah?
Frage: Nein. Über
sie weiß ich nichts. Ich weiß nur von den Negerlein. Und dem Hai. Sie fuhren
ans Meer. In der Nähe war ein Dorf mit anderen Negerlein. Die dazukommenden
waren angehalten worden, auf der Hut zu sein. Sie war also vorgewarnt. Aber
dort in dem Dorf gab es ein Negerlein, das war ganz anders. Bei jeder Begegnung
erkundigte sich Ruslan, so hieß der Knabe: Ist dir auch keiner aus unserem Dorf
zu nahe getreten, Tanja? Gib mir unbedingt Bescheid, wenn etwas sein sollte.
Die Menschen sind verschieden, wie du weißt! Manchmal brachte er ihr Obst aus
seinem Garten mit. Dabei sagte er, man erzähle sich so dies und das über die
Negerlein aus seinem Dorf, das sei ihm peinlich und ärgere ihn, aber nicht alle
seien so. Am letzten Tag lud er sie zum Picknick ans Meer. Ein Freund aus
seiner Armeezeit war gekommen, und das - Gastfreundschaft, Männerfreundschaft
- galt den Negerlein als heilig. Tanja begriff, dass sie die Einladung unmöglich
ausschlagen konnte. Denn das hätte ihm gezeigt, dass sie seinesgleichen als
Unholde ansah, denen man nicht trauen konnte. Also fuhr sie hin und nahm eine
Freundin mit, Ljudmila. Die fand an Ruslan großen Gefallen. Was Ihrer Tanja ja
nicht anders ging. Ich darf mich keinesfalls in ihn verlieben, hatte sie sich
gesagt - und schon war es geschehen. Während ihr dieser Armeefreund gleich gar
nicht gefiel. Die roten Haare, die kalten Augen, die unangenehme Stimme.
Außerdem schrillte bei ihr gleich die
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