Schischkin, Michail
Wort, ich verstand sie auch so.
Frage: Wussten
Sie da schon von ihren Nierenproblemen?
Antwort: Wie konnte
ich? Damals war ja noch alles gut. Ich erinnere mich, wie wir gemeinsam in der
Schwangerenberatung waren, ich hatte unbedingt mitgewollt, keine Ahnung, wieso.
Plötzlich bangte ich um sie. Und mir gefiel es dort ganz und gar nicht. Als
Erstes wurde Tanjas Krankengeschichte aufgenommen. Als wäre die Schwangerschaft
eine Krankheit! Und zum Arzt musste man ein Handtuch und Pantoffeln mitbringen
oder Plastiktüten über die Schuhe ziehen. Einmal sahen wir im Fernsehen eine
Sendung über Meeresgeburten. Es wurde gezeigt, wie Schwangere ans Meer fuhren
und darin gebarten. Das wurde zur Nachahmung empfohlen, man bekam eine
Telefonnummer gezeigt, wohin man sich wenden konnte. Hinterher fragte Tanja auf
einmal: Wollen wir das nicht auch machen? Aber es war wohl doch so eine Art
Sekte, die Frauen wurden dort angehalten, ihre Nachgeburt zu essen - wie Hunde.
Hab keine Angst, sagte ich, Geld ist genug da, das brauchen wir bloß auf den
Tisch zu legen, dann läuft die Sache. Tanja verkühlte sich die Nieren und
musste liegen, verbrachte eine Woche im Bett, nahm viel Flüssigkeit zu sich,
schwoll an, als bekäme sie Zwillinge. Sie kam sich auf einmal hässlich vor,
legte sich darum eifrig gebrauchte Teebeutel auf die Augen, das sollte helfen
gegen die Ödeme. Oder Gurkenscheiben. Aber nur, wenn ich nicht da war, sie
wollte nicht, dass ich sie so sah: mit Gurken vor den Augen.
Frage: Und der
Sohn? War er eifersüchtig?
Antwort: Im Gegenteil.
Romka freute sich, ein Brüderchen oder Schwesterchen zu kriegen. Ich weiß noch,
wir lagen eines Abends zu dritt auf dem Bett und streichelten ihren Bauch - ich
von der einen, Romka von der anderen Seite. Wachse, wachse, Schwesterchen!,
sagte ich, und Romka darauf: Wachse, wachse, Brüderchen! Ich wollte ein
Mädchen, er hoffte auf einen Jungen. Zur Ultraschalluntersuchung hieß es dann,
es würde ein Junge. Hurra!, rief Romka, gewonnen! Der Bildschirmausdruck kam
hinter Glas und aufs Bücherregal. Du wachst morgens auf, ein paar Minuten,
bevor der Wecker klingelt, schaust: da das Köpfchen, da ein Ärmchen - ein Bild
wie aus dem Kosmos übertragen, mit allerlei Funkstörungen. Gruß aus dem
Raumschiff, in dem es zu uns unterwegs ist von jenem anderen Planeten her, wo
es all die Tausende und Millionen Jahre zugebracht und auf uns gewartet hat.
Dann wurde sie auf einmal in die Klinik eingewiesen, zur Sicherung der
Schwangerschaft, so wurde gesagt. Sie konnte ohne Bücher nicht leben und nahm
mehrere mit, kam aber kaum zum Lesen, weil die Weiber im Zimmer unentwegt
quasselten. Ich besuchte sie jeden Tag, wir spazierten auf dem Klinikflur auf
und ab, bis ich losmusste, Romka aus dem Kindergarten holen. Sie schlug das
Buch auf, an dem sie gerade las, und fragte: Pass auf, hier steht, der
menschliche Körper streckt sich in die Zeit und füllt damit allen Raum. Wie ist
das gemeint? Ich zucke mit den Schultern. Woher soll ich das wissen? Wenn es so
dasteht, wird es schon stimmen. Das können die besser beurteilen. Verstehst du
es denn?, frage ich. Nein, bis jetzt noch nicht. Aber das kommt noch! Dann
kommt es bei mir vielleicht auch noch!, lache ich. Wir sehen eine Schwester den
Boden wischen. Die Angst hört im Leben nicht auf, knurrt sie vor sich hin. Erst
haben wir Angst, schwanger zu werden, dann vorm Gebären, und hinterher
ängstigen wir uns um unser Kind bis ins Grab.
Frage: Und als
sie nach Hause kam, hatte sie das Kind verloren?
Antwort: Ja. Sie
hatte seine Bewegungen vermisst. Und tatsächlich war das Kind gestorben - in
ihrem Bauch.
Frage: Hat man
Ihnen erklärt, was passiert war?
Antwort: Ja, aber
ich begriff davon nicht viel. Ich hatte Angst um Tanja. Sie nahm es sehr
schwer. Und ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Ich hätte sie trösten
wollen, besänftigen, aber das ist in solch einer Situation nicht drin. Ich
sagte nur immer: Wir haben doch uns, das ist die Hauptsache. Und Romka. Und wir
werden noch ein Kind haben. Unter Garantie! Du wirst sehen!
Frage: Was haben
Sie dem Jungen gesagt?
Antwort: Was soll
man da sagen? Die Wahrheit: dass das Brüderlein gestorben ist. Nicht auf die
Welt gekommen. Tanja nahm Romka manchmal mit in die Kirche, zur Sonntagsschule.
Er kam dann wieder mit Sprüchen wie: Zu sagen, dass es keinen Gott gibt, ist
dasselbe, wie Kindern weiszumachen, dass sie keine Eltern haben und nie welche
hatten. Diesmal kam er und sagte: Er ist gar
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