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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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Dafür, dass ein Junge aus ihrem
Gymnasium ein paar Runden mit mir auf der Eisbahn gedreht hat, verpassen sie
ihm eine »Abreibung im Dunkeln« - werfen ihm in der Garderobe Mäntel über den
Kopf und verprügeln ihn.
    Über
Zwillinge weiß Papa zu sagen, dass es sich um einen Fehler der Natur handelt -
einen harmlosen zwar, aber einen Fehler. Überließe man die zwei sich selbst,
entwickelte sich der eine unweigerlich zum Führer und der andere zum Geführten,
einer wäre dem anderen über. Ich merke, wie der Kampf um Vorherrschaft zwischen
ihnen unentwegt ausgefochten wird. Einmal im Winter, in der Schlucht im Park
von Nowoposjolki, wo zwei Schlittenbahnen aufeinander zuführen, veranstalten
die Nasarows eine Mutprobe: Sie fahren mit ihren Schlitten von zwei Seiten
gegeneinander. Wer zuerst Angst kriegt und ausweicht, hat verloren. Alles
bleibt stehen und schaut, wie die beiden frontal aufeinander zurasen, Aug in
Aug - wer als Erster zwinkert, wird ausweichen. Im letzten Moment kommt einer
von beiden in der ausgefahrenen Schneerinne ins Schleudern und fliegt zur
Seite. Wäre diese Rinne nicht gewesen, die beiden hätten sich wohl die Köpfe
eingeschlagen.
    Zu Anfang
kann ich die beiden überhaupt nicht auseinanderhalten, nach einiger Zeit sehe
ich keine Ähnlichkeit mehr zwischen ihnen, so unterschiedlich sind sie. Aber
Liebe empfinden könnte ich für den einen so wenig wie für den anderen.
Undenkbar! Einmal, als wir gemeinsam zu einer Namenstagsfeier eingeladen sind,
passt einer der beiden, Semjon, den Moment ab, um mit mir allein im Zimmer zu sein.
Nun müsste er sich eine Unterhaltung einfallen lassen. Aber er kriegt einen
roten Kopf, schwitzt und schweigt.
    Im Mai
spazieren die zwei unter den Fenstern unseres Gymnasiums auf und ab, beide in
gleichen weißen Leinenhemden mit zugeknöpftem Kragen, die Augen unverwandt auf
die Fenster gerichtet, aus denen wir Schülerinnen hinausschauen, bis der eine
in seiner Selbstvergessenheit mit voller Wucht gegen einen Telegrafenmast
knallt.
    In den
Sommerferien fahren ihre Eltern mit ihnen nach Deutschland. Hinterher, als sie
nach ihren Erlebnissen in Europa gefragt werden, fällt den Zwillingen nur die
Nürnberger Festung ein und die Folterkammer* [ im
Original deutsch (Anm. d. Ü.)] darin, mit der Eisernen Jungfrau
und einer Kollektion weiterer Folterwerkzeuge, da konnten sie nur staunen:
stählerne Scheren zum Abschneiden der Zunge, Nadeln zum Ausstechen der Augen,
Späne, die unter die Fingernägel getrieben und angezündet wurden, dergleichen
mehr. Besonders beeindruckt - sodass sie davon nur flüsternd berichten und nur
den Jungen ins Ohr, aber so, dass alle es hören - sind sie von den Klammern zum
Quetschen jener Körperteile, die bei Männern besonders empfindlich sind.
    Aber
einmal erweisen sich die Nasarows als unsere Retter, nämlich als Mischka,
Tusja, ich und ein paar andere Freundinnen aus dem Gymnasium den Jahrmarkt in
Nachitschewan besuchen. Da werden wir von ein paar betrunkenen
Handwerksburschen aus Temernik belästigt - und die Nasarows, die sich an meine
Fersen geheftet haben, lassen sich tapfer auf eine Prügelei mit ihnen ein. Von
da an nehmen wir die Nasarows immer mit auf unsere Spaziergänge im Park von
Nowoposjolki, wo man sich vor Rowdys kaum retten kann, und die beiden stecken
Messer und Schlagringe ein.
    Seltsam
ist die Welt eingerichtet: Pjotr und Semjon, die Zwillinge, scheuen sich
nicht, mir zuliebe jemanden abzustechen, doch ich liebe nicht sie, sondern ein
Foto, ein Fleckengemisch aus Schwarz und Weiß, und das alles ist zu einfach,
als dass man es erklären könnte.
    Beim
Überlesen des bis hierhin Geschriebenen fällt mir auf, dass ich noch gar nichts
über Tante Olja, Mamas jüngere Schwester, erzählt habe, die manchmal aus
Petersburg zu Besuch kam.
    Mit
klappernden Absätzen flog sie herein in unsere Mädchenzimmer, die sich bei
ihrem Erscheinen in öde, staubige Kämmerchen verwandelten. Forsch, duftend, mit
einem Wort: Hauptstädterin. Wie die Kletten hingen wir an ihr auf dem Sofa,
überhäuften sie mit Küssen, dass ihr die Luft wegblieb. Sie hatte Geschenke für
alle dabei, und immer war es etwas so Nutzloses, Unpraktisches, dass Mama
tadelnd den Kopf schüttelte. Aber das Überflüssigste ist ja zugleich das
Schönste: all diese Federn, Haarspangen, Bildchen, Fächer... Man muss zefiroso
leben, sagte Olja. Und genau so atmete, ging, aß und lachte sie auch - zefiroso,
das heißt: luftig und leicht wie ein Hauch. Manchmal

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