Schismatrix
Handsäge der Parlamentsvorsitzenden hatte ihr einen tiefen Schnitt über dem linken Knie zugefügt; sie war bleich, doch immer noch voller Kampfeseifer. »Wir müssen diese Gendefiziente erwischen. Die bedeutet nämlich Ärger.«
»Was wird mit der Wetware?« fragte Nora. »Die verdirbt uns doch, wenn wir die Energiezufuhr weiter abgeschaltet halten. Wir müssen den Strom wieder einschalten.«
»Und dann wüßten sie, daß wir im Kraftwerk sind!« sagte Paolo. »Einer könnte die Maschinen einschalten, die andern bleiben versteckt im Hinterhalt! Angriff und Rückzug, Angriff und Rückzug!«
»Zuerst schaffen wir mal die Leichen in ein Versteck«, sagte Kleo. Sie machte kehrt, stemmte die Beine gegen den Schleusenrahmen und begann Hand über Hand ein Seil einzuholen. Es tauchte der Dritte Richter auf; sein runzeliger Hals war von Kleos drahtfeiner Garotte nahezu abgesägt worden. Die Aufzugsröhrchen an seinem Leib waren voll gestohlener Wetware. Wie den Richter-2 hatte es ihn bei seinem Raubversuch erwischt.
Paolo schälte aus der Geheimkammer der Startzentrale Camoplastik. Die Leichen der Senatoren 1 und 2, die Agnes und Paolo erledigt hatten, schwebten bereits dort drin. Sie schoben die anderen Toten ebenfalls dort hinein, obwohl sie sie nur ungern berührten. »Sie werden es merken, daß die hier sind«, sagte Agnes. »Sie werden sie riechen.« Und sie nieste heftig.
»Nein, sie werden glauben, der Gestank kommt von ihnen selbst«, sagte Paolo, während er die dünne Scheinwand wieder richtig zu glätten begann.
»Auf zum Tokamak«, sagte Kleo. »Ich nehme die Kerzen; Agnes - du bist Avantgarde.«
»Schön.« Agnes zog sich die Hemdbluse und den schwarzen Netzhaarputz vom Körper. Mit ein paar losen Stichen befestigte sie beides aneinander. In der Schwerelosigkeit quoll das auf und wirkte in dem Dämmerschein fast wie eine menschliche Gestalt. Sie glitt in den engen Korridor und schubste den Köder mit dem ausgestreckten Arm vor sich her.
Die anderen folgten ihr. Nora bildete die Nachhut.
An jener Kreuzung hielten sie inne, lauschten und schnüffelten. Agnes schob die Kleiderpuppe vor sich her, dann spähte sie rasch über den Rand der Öffnung. Kleo reichte ihr sodann die Kerze, und Agnes leuchtete umher, ob sich da jemand versteckt hatte.
Als sie näher an die Tokamak-Energiefabrik heranrückten, mußte Agnes erneut laut niesen und kurz darauf roch auch Nora es: einen atemberaubenden fremden Gestank. »Was ist denn das?« flüsterte sie Kleo zu, die vor ihr war.
»Feuer, glaube ich. Rauch.« Kleos Stimme klang, als knirsche sie mit den Zähnen. »Die Umgemodelte ist gescheit. Ich glaube, sie ist zum Tokamak gegangen.«
»Schaut!« flüsterte Agnes laut. Aus dem zu ihrer Linken abzweigenden Korridor wogte im Schein der Kerze ein dünner grauer Strom heran. Agnes fuhr mit den Fingern hindurch, und der Rauch zerteilte sich zu flüchtigen Kräuseln. Agnes hustete heftig und stützte sich an der Wand ab; ihre entblößten Rippen wogten lautlos.
Kleo blies die Kerze aus. In der Dunkelheit erkannten sie ein schwaches Schimmern von Licht, das von den Biegungen und Krümmungen des glatten Tunnelgesteins reflektiert wurde.
»Feuer«, sagte Kleo. Zum erstenmal hörte Nora nun Furcht in der Stimme ihrer Anführerin. »Ich geh voran.«
»Nein!« Agnes drückte die Lippen an Kleos Ohr und begann hastig auf sie einzuflüstern. Die beiden Frauen umarmten einander, dann ließ Agnes ihre Kleider zurück, preßte sich eng an die Wand und schlich sich weiter nach vorn. Als Nora den anderen folgte, konnte sie den verschmierten kalten Schweiß von Agnes auf dem Stein fühlen.
Nora spähte nach hinten, um den Rücken zu sichern. Aber wo war Abélard? Nein, tot ist er nicht, dachte sie. Wenn er doch nur jetzt hier wäre, mit seiner endlosen Glattzüngigkeit, mit diesem tierhaften Leuchten des Überlebenswillens in seinen grauen Augen ...
Ein plötzliches scharfes Klack hallte den Tunnel herauf. Es verging eine Sekunde, dann schrie Agnes laut, und die Luft tränkte sich mit dem scharfen metallischen Gestank von Säure. Es gab schmerzliche und haßerfüllte heulende Laute, man hörte das Schnappen der Zwingenschleuder Paolos. Noras Rücken und Schultern verspannten sich so urplötzlich, daß sie in eine Krampfstarre gerieten, und sie taumelte kopfunter den Tunnel hinab, während ihr die eigenen Schreie ohrenbetäubend im Kopf gellten.
Die Gendefiziente wirbelte taumelnd im roten Feuerschein herum und fuhr Agnes mit der
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