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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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dem Gerangel abhanden gekommen. Agnes hatte tapfer gekämpft und war von der Handsäge der Parlamentsvorsitzenden verwundet worden. Und Paolo hatte wie ein Superheld gekämpft.
    Kleo murmelte vom Eingang her die Parole, und kurz darauf wurde es hell im Raum. »Ich sagte dir doch, daß sie funktionieren werden«, sagte Paolo.
    Kleo hielt die Plastikkerze von sich fort; das Natrium an der Dochtspitze spuckte noch, wo die Flamme gezündet hatte. Das wachsartige Plastik stank, je weiter der Docht abbrannte. »Ich habe alle mitgebracht, die du angefertigt hast«, erläuterte Kleo. »Du bist ein gescheiter Junge, mein Lieber.«
    Paolo nickte voll Stolz. »Mein Glück war stärker als diese Kontingenz. Und ich hab zwei erledigt.«
    »Du hast die Kerzen gemacht«, sagte Agnes. »Und ich hab gesagt, es wird nicht funktionieren.« Sie schaute ihn voll Bewunderung an. »Du bist der Richtige, Paolo. Gib mir deine Befehle!«
    Im Kerzenlicht erblickte Nora das Gesicht der toten Piratin. Sie löste den Würgegürtel und band ihn sich um die Hüften.
    Erneut fühlte sie sich von Schwäche überwältigt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie empfand plötzlich ein Gefühl von Entsetzen und Bedauern gegenüber der Frau, die sie umgebracht hatte.
    Das kam von den Drogen, die Abélard ihr gegeben hatte. Sie war dumm gewesen, sich diese erste Injektion applizieren zu lassen. Sich mit Aphrodisiaka aufzuheizen, das war der Preisgabe gleichgekommen, der Auslieferung nicht bloß an den Feind, sondern an bruchstückhafte Reste von Versuchung und Zweifel, die noch in ihr lauerten. Ihr ganzes Leben lang waren diese zu immer blasseren Schatten verblichen, je heißer und heller ihre Überzeugung in ihr gebrannt hatten, waren zu zuckenden, kriechenden Schemen geworden.
    Auf sich selber gestellt - vielleicht hätte sie standhalten können. Aber es gab das fatale Musterbeispiel der anderen Diplomaten. Der Verräter. In der Akademie hatte man sie niemals offiziell erwähnt, vielmehr dies den versteckten Bereichen von Tratsch und Gerüchten überlassen, wie sie unablässig in jeder Shaper-Kolonie vor sich hinköchelten. Die Gerüchte verbreiteten sich wie eiternde Geschwüre in der Obskurität und nahmen dabei alle nur erdenklichen Erscheinungsformen des Verbotenen an.
    Für ihre persönliche Wertskala war Nora eine Kriminelle geworden: in sexueller, ideologischer und beruflicher Hinsicht. Es waren ihr Dinge geschehen, über die sie nicht einmal Kleo gegenüber zu sprechen wagen durfte. Ihre Familie wußte nichts von dem Diplomatentraining, dem brennenden Glosen in jedem Muskel, nichts von den Angriffen auf Gesicht und Gehirn, die aus ihrem eigenen Körper ein ihr fremdes Objekt gemacht hatten, ehe sie noch sechzehn Jahre alt war.
    Wäre es irgend jemand gewesen, nur nicht gleichfalls ein Diplomat, sie hätte kämpfen können und wäre mit der Überzeugung und heiteren Unbekümmertheit, die Kleos Charakteristika waren, wohl auch anstandslos gestorben. Doch nun war sie ihm begegnet, und sie hatte begriffen. Abélard war nicht so klug wie sie selbst, doch er hatte Einfälle, Erfindungsgabe und war schnell. Sie würde zu etwas ihm Vergleichbaren werden können. Dies war die erste echte Alternative, die sich ihr in ihrem ganzen Leben je gestellt hatte.
    »Ich habe uns das Licht gebracht«, prahlte Paolo und ließ seine Bola in einer verkrümmten Acht kreisen, ehe er die Leine auf seinen gepolsterten Unterarmen abfing. »Ich hab auf Sieg gewettet, trotz äußerst mieser Chancen. Und ich hab Ian geschlagen, und ich hab Fazil geschlagen, und ich hab zwei von denen umgebracht.« Die Ärmelbänder peitschten an seinen Ellbogen, als er sich auf die Brust trommelte. »Ich sag nur: Aus dem Hinterhalt, heimlich, Überraschungsangriff!« Die Bola hatte sich auf seinen Arm aufgewickelt und ruhte dort, und er zog die Schleuder aus dem Gurt.
    »Sie dürfen nicht entkommen«, sagte Kleo. Ihr Gesicht war im Rahmen der goldenen Krone ihres Haarnetzes im Schein der Kerzen freundlich und ruhig. »Wenn es Überlebenden gelingt zu entrinnen, kommen andere zurück mit ihnen. Wir können überleben, ihr Lieben. Sie sind nämlich dumm . Und sie sind sich uneins. Wir haben zwei verloren, sie sieben.« Kurz zuckte ein Hauch von Schmerz über ihr Gesicht. »Der Diplomat war schnell, aber die Chancen stehen gut, daß er im Abschußring gestorben ist. Die übrigen können wir überspielen, genau wie ihre Richter.«
    »Wo sind die beiden Volksvertreter?« fragte Agnes. Die

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