Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
Kerze oben auf das Kontrollband des Tokamak und schaltete ihn auf Stufe Eins hoch. Durch die polarisierte Schutzscheibe sickerte ein bläulicher Schimmer, während die Magnetfelder in der Kammer sich kräuselnd dehnten. Der Tokamak flackerte unruhig, während er sich langsam zur Fusionsgeschwindigkeit hocharbeitete. Künstliches Sonnenlicht erstrahlte gelb, als die Ionenströme zusammenprallten und brannten. Das Feld stabilisierte sich, und plötzlich brannten sämtliche Leuchtkörper wieder.
    Vorsichtig drückte Nora die Kerzenflamme an der Wand aus.
    Paolo rieb sich gereizt die Säureblasen an den ungeschützten Händen. »Ich bin es, Nora«, sagte er. »Ich bin das eine Prozent, das für das Überleben bestimmt ist.«
    »Ich weiß, Paolo.«
    »Aber ich werde an dich zurückdenken. An euch alle. Ich hab euch geliebt, Nora. Das wollte ich dir nur noch einmal sagen.«
    »Es ist eine Auszeichnung, in deiner Erinnerung fortzuleben, Paolo.«
    »Adieu, Nora.«
    »Wenn ich je Glück hatte«, sagte Nora. »Ich schenke es dir.«
    Er lächelte und schwang prüfend seine Schleuder.
    Nora ging fort. Sie hielt das eine Bein steif und glitt rasch durch die Tunnels. Wellen von Schmerz gruben sich in sie, ballten sich zu Knoten in ihrem Körper. Ohne den Spinalkrebs vermochte sie die Krämpfe nicht länger aufzuhalten.
    Die Piraten hatten in der Funkzentrale wüst gehaust. Sie hatten in der Finsternis wild um sich geschlagen. Die Transmittoren waren zersägte Trümmerstücke; die Tischkonsole war fortgerissen und beiseite geschleudert worden.
    Aus dem Flüssigkristall-Display sickerte es. Nora zog Nadel und Faden aus ihrem Haarnetz und nähte den Riß im Schirm zu. Das CPU funktionierte noch; von den Parabolantennen wurden ankommende Signale eingespeist. Aber die Dechiffrierprogramme waren zusammengebrochen. Die Übertragungen aus dem Ring Council waren ein wüstes Durcheinander.
    Sie fing auf einer allgemeinen Propagandafrequenz Signale ein. Das aufgeschlitzte TV funktionierte noch, wenn auch entlang den Stichen ein wenig verschwommen.
    Und da war sie: die Draußenwelt. Sie war nicht besonders grandios: Worte und Bilder, Zeilen auf einem Bildschirm. Sacht fuhr sich Nora mit den Fingerspitzen über die sengend-schmerzende Stelle in ihrem Knie.
    Sie konnte nicht glauben, was die Gesichter auf der Scheibe ihr sagten, was die Bilder zeigten. Es war, als wäre der kleine Sichtschirm in den Tagen der Finsternis irgendwie in Fermentation geraten, als brodelte und schäumte die Welt hinter ihm über und als hätten sich sämtliche ihrer Gifte zu Wein-Wetware vergoren und geläutert. Die Gesichter der Shaper-Politiker strahlten in ungläubigem Triumph.
    Wie festgenagelt schaute sie auf den Schirm. Die schockierten öffentlichen Statements der Mechanisten-Führer: gebrochene Männer, schreckerfüllte Frauen, aller gewohnten Routine und Systeme beraubt. Die Rüstungs- und Katastrophenpläne der Mechs waren weggekratzt wie ein Schorf und zeigten sie als rohe menschliche Fleischbrocken. Sie plapperten und stammelten, grapschten nach der Kontrolle der Dinge, jeder sagte das Gegenteil von seinem Vorredner. Einige trugen ein verkniffenes Lächeln zur Schau, das wie chirurgoprothetisch verdrahtet wirkte, andere hatten den glasigen Glanz religiöser Erschütterung aus zweiter Hand, wie von einem Glaubenströdler, in den Augen, gestikulierten verschwommen, und ihre Gesichter waren so arglos und klar wie die von Kindern.
    Und die Doyens des shaperischen Akademisch-Militärischen Komplexes: diese glattgesichtigen Sicherheitstypen, umgänglich und gewandt, triumphierend, noch immer viel zu glücklich über den erstaunlicherweise geglückten Coup, als daß ihr eingefleischter Argwohn schon wieder sichtbar werden könnte. Und die Intellektuellen, ganz benommen von den sich bietenden Möglichkeiten, voll wilder Spekulationen, ihre Objektivität in Stücke zerfetzt.
    Dann sah Nora den Einen. Es waren mehr, ein ganzes Dutzend von ihnen. Sie waren riesig . Allein schon die Beine waren so lang wie Menschen, gewaltige gerippte Massen von Muskeln, Knochen und Flechsen unter glattpolierter welliger Haut. Schuppen. Braunschuppige Panzerhaut zeigte sich unter der Kleidung: sie trugen Röcke, glitzernde Perlkugeln auf Drahtschnüren.
    Die mächtige Brust war nackt, mit prächtigem Brustbein und Rippen wie die Spanten eines Schiffskiels. Neben den baumstammwuchtigen Beinen und den massiv ragenden Schwänzen wirkten die Arme lang und schlank und besaßen flinke

Weitere Kostenlose Bücher