Schiwas feuriger Atem
Einleuchtendere. Es ist einfach zu sagen: dieses Kind ist aus dem und dem Mutterleib gekommen; aber nicht so einfach, mit Sicherheit zu sagen, daß sein Same aus dem und dem Penis gekommen ist.
Unwillig schüttelte sie den Kopf, um ihn klar zu kriegen. Was für Gedanken! Wenn ich nicht klaren Kopf behalte, gibt’s vielleicht weder für mich noch für sonst jemanden Kinder! Sie beugte sich vor, schaltete das Radio an und sprach ins Mikrophon:
»Omega I an Alpha II, bitte kommen!« Nach kurzer Pause wiederholte sie: »Omega I an Alpha II …«
»Omega I, hier ist Alpha II – over.«
»Colonel Calderon?«
»Hei, Lisa! Wie geht’s dir denn?«
»Alles klar. Was macht Bolschoi? «
»Zieht prima mit. Wir brauchen bloß ›hü‹ zu sagen, und er kommt.«
»Diego …« Beide wußten sie, daß alles mitgehört, auf Band genommen und möglicherweise weltweit über Radio verbreitet wurde. Was sie sich zu sagen hatten, mußten sie sich zwischen den Zeilen sagen. »Für so ein paar Milchwagenfahrer sind wir ja ganz schön weit draußen, nicht?«
»Hö«, sprach Nino Solari dazwischen, »wir kriegen es schon hin.«
»Lisa, ich …«
»Also – Schluß mit den Privatgesprächen!« Das war Carl Jagens. »Ihr kennt die Vorschriften. Alles über NASA-Kanal. Jede Information von euch kann für die Bodenstation wichtig sein. Alles andere ist unnütziges Gequatsche. Verstanden?«
»Hören Sie mal, Carl«, protestierte Diego, »seit wann sind Sie hier Hausmutter? Sind wir hier im Gefängnis nach Einschluß – oder was? Ist doch nichts dabei, wenn ich mit Lisa spreche.«
»Colonel Calderon«, entgegnete Jagens eisig, »achten Sie gefälligst auf die vorschriftsmäßigen Kommunikationsformen!«
Eine kurze Pause trat ein, und Lisa öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, doch Diego sprach zuerst. »Alpha II schaltet um auf S-Band, Frequenz 1.«
Lisa streckte die Hand aus und schaltete auf die »Abwärts-Linie« um, die Sprechfunkverbindung mit der Erde in dem Telemetriekomplex, der die Raumfahrzeugparameter an die Erdsatelliten durchgab, von wo aus sie weiter an die betreffenden Basen gingen. Die entsprechende »Aufwärts-Linie« entlastete die Bordelektronik, diagnostizierte eventuelle Systemfehler und speicherte die aus anderen Quellen stammenden sogenannten »Aufwärts-Daten« über Schiwa.
»Omega I, bitte kommen. Alpha II an Omega I, bitte kommen.«
»Colonel Calderon, Sie verstoßen gegen die Vorschrift«, fuhr Jagens dazwischen.
»Warum zum Teufel soll eigentlich Funkstille sein, Carl? Damit der Feind nicht weiß, wo wir stecken? Wir fliegen doch hier keinen Buschkrieg, Jagens. Schiwa hat keine Ohren.«
»Schluß jetzt, Klappe zu!« Das war die Stimme Chuck Bradshaws, die Stimme mit der scharfen Schneide, die Laßt-den-Unsinn-Stimme, die keiner gern hörte.
»Ich habe angefangen, Chuck«, sagte Lisa, »ich …«
»Im Ernst, Leute«, unterbrach Chuck, »Sprechverkehr auf Minimum, ja?«
»Genau«, bestätigte Jagens selbstgefällig.
»Carl …«, setzte Chuck an, hielt jedoch inne. »Captain Jagens, Sie haben das Kommando.«
Eine versteckte Warnung lag in Chucks Worten, aber sie vermittelten eine plötzliche Erkenntnis: was konnte Chuck tun, wenn Carl oder sonst jemand nicht gehorchte oder vom festgesetzten Operationsplan abwich? Erfüllten Alpha und Omega ihren Auftrag nicht, dann wären sie tot, und die NASA und der größte Teil der Menschheit wahrscheinlich auch. Schafften sie es, so war alles andere egal; was zählte, war der Erfolg, ganz gleich wie er zustande gekommen war. Dann waren sie die größten Helden und Heldinnen der Menschheitsgeschichte. Buchstäblich die Retter der Welt. Bei so hohen Einsätzen hatten Tadel und Rügen kaum einen Sinn. Bradshaw konnte nur damit rechnen, daß sich jeder diesem Interesse unterordnete. Aber er konnte niemanden zwingen zu gehorchen.
Da reichte keine Drohung aus.
»Ab sofort wieder normaler Funkbetrieb«, befahl Carl Jagens. »Alpha II hat Erlaubnis, mit Omega I Verbindung aufzunehmen.«
»Alpha I, hier spricht Alpha II. Antrag auf Sprecherlaubnis.«
Trübsinnig starrte Lisa auf die Konsole. Jagens bestätigte den Spruch. Sie fühlte sich noch einsamer und zwang ihre Gesichtszüge zu völliger Ausdrucklosigkeit, ein Schutzschild gegen die Preisgabe ihrer Gefühle. Immer noch hielt man die weiblichen Astronauten für gefühlsbezogener; noch nach sovielen Jahren war dieses Rollenmuster noch immer in Kraft. Lisa hatte sehr bald gelernt, ihre Zunge und ihre
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