Schlaf, Kindlein, schlaf
laut und gellend zu schreien.
»Schsch!« Máire ging wieder in die Hocke, nahm C.J.s Hand und zog sie an sich. »Ich bin hier, C.J. Ganz ruhig. Ich bin hier.«
Máire redete beruhigend weiter … von dem Haus in New Orleans, dass sie vor Kurzem verkauft hatte, von Dingen, an die sie sich erinnerte, von Orten, die sie besucht hatte, bis sie merkte, dass C.J.s Hand kraftlos geworden war.
Máire warf einen Blick über die Schulter. Wie lange hatte sie hier gesessen? Eine Viertelstunde? Zwanzig Minuten?
Es wurde kühl. Máire wusste, dass sie keine Zeit verlieren durfte, blieb aber noch einige Minuten neben C.J. sitzen. Sie vermutete, dass sie an C.J.s Handgelenk vielleicht keinen Puls fühlen würde, und unternahm auch keinen Versuch.
Sie beugte sich über das Mädchen und wickelte sie in ihr zerschlissenes Hemd. Als C.J. vor dem Regen geschützt unter den Bäumen im Windschatten saß, rannte Máire los. Nordwärts, um Hilfe zu suchen.
4
Das alles glich einem fürchterlichen Traum, aber es war die unverfälschte Wirklichkeit. Ein Blitz erhellte den Himmel, und der Donner explodierte. Jetzt begann Poseidon, richtig zu toben. Der Wind blies in starken Böen vom Atlantik, brach Äste von den Bäumen und wirbelte sie durch die Luft.
Máire rannte und rannte, als säße ihr der Teufel im Nacken, aber es schien, als käme sie nicht vom Fleck. Der Wald war endlos, Savannah Lichtjahre entfernt. Auch der Regen schien schon seit den frühen Morgenstunden zu strömen und prasselte im Augenblick mit solcher Wucht herab, dass die Tropfen vom Boden abprallten und Matschspritzer Máires Gesicht trafen. Sie hörte den Regen und die Zweige zu Boden fallen und spürte jedes Mal einen stechenden Schmerz, wenn ihr die Blätter ins Gesicht schlugen. Sie lief so schnell sie konnte in ihren schweren, glitschigen Sandalen durch die Dunkelheit. Manchmal reichte ihr das Wasser bis zu den Knöcheln, dann wieder war der Erdboden verräterisch holprig und trocken an den Stellen, wo das dichte Blätterwerk der Bäume verhinderte, dass es durchregnete. Máire merkte, wie ihre Füße sich hoben, nach vorn schwangen und auf den Schlamm auftrafen. Jeder Atemzug bereitete ihr Schmerzen, und sie konnte den Geschmack von Blut und Metall auf der Zunge spüren. Aber sie wusste, dass sie größere Probleme hatte als den Regen und ihre Schmerzen.
Die Vorstellung, dass jemand hinter ihr her war – dass alles nur ein Wettlauf mit der Zeit war –, ließ sie den Schmerz vergessen und die Panik in Schach halten.
In der Nähe – vermutlich hinter ihr – gab es einen lauten Knall. Ein Blitz zuckte durch die Luft und schlug in einen Baum ein, der mit lautem Krachen umstürzte. Sie glaubte, jeden Moment eingeholt zu werden, und wagte es nicht, sich umzusehen. War er ihr auf den Fersen? Oder hatte er aufgegeben? Der Wind heulte in den Baumkronen, und der prasselnde Regen übertönte ihre schnellen Schritte und ihren keuchenden Atem. Doch wenn jemand hinter ihr her war, würden auch die Geräusche seines Vorankommens übertönt werden.
Plötzlich bekam sie Seitenstechen und konnte nicht mehr weiter. Wenn sie die Beine hob, fühlte es sich an, als hätte sie Zement in den Schuhen. Sie versuchte, die schmerzenden Stiche hinter ihren Rippen zu ignorieren, atmete mit dem Zwerchfell, aber es tat immer noch weh, und sie musste langsamer laufen. Sie blickte sich um.
Sie konnte nichts erkennen. Nur die moosbehangenen, knorrigen Äste bewegten sich. Das hieß natürlich nicht, dass niemand da war. Es konnte ihr sehr wohl jemand auf den Fersen sein, im Schutz von Regen und Dunkelheit.
Sie entdeckte einen schmalen Pfad, der an einem Wasserlauf entlangführte. Nach einer kurzen Weile kam sie an eine Weggabelung – beide Wege schienen nach Süden zu führen, in Richtung der Lichter der Stadt. Sie lief durch ein paar tiefe, matschige Mulden im Erdboden auf eine Baumgruppe zu, die im Sturm hin und her schwankte. Sie lehnte sich an einen Baumstamm, stützte die Hände auf die Knie und holte Atem. Nach kurzer Unentschlossenheit wählte sie den rechten Pfad. Er schien der direkteste Weg zur Stadt zu sein.
Als sie sich umsah, um noch einmal einen Blick in die Nacht zu werfen, registrierte sie eine Bewegung im Augenwinkel. Máire schlug das Herz bis zum Hals. Die Gestalt war nur ein Schatten und schien von Baumstamm zu Baumstamm zu huschen, aber sie war sich sicher. Es handelte sich um die Umrisse eines Mannes in gebeugter Haltung, der mit langen federnden Schritten
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