Schlaf, Kindlein, schlaf
Unter diesen Bedingungen konnte sie nicht schneller als fünfzehn oder zwanzig Stundenkilometer fahren. Sie dachte mit Schaudern daran, dass das kaum schneller war, als ein gut durchtrainierter Mann laufen konnte.
Máire atmete den furchtbaren Gestank ein, den C.J. ausströmte. Im Innern des Wagens war es, als würde man eine offene Kloake riechen. Máire öffnete ihr Seitenfenster so weit, dass ihr frische Luft ins Gesicht wehte, sie dabei aber nicht nass wurde.
Der Land Rover war nicht länger sicher. Er war eine Todesfalle. Sie schaltete die Scheinwerfer aus, damit ihr Wagen in der Finsternis unsichtbar war und eine schlechte Zielscheibe abgab, falls jemand darauf schießen wollte. Sie gab Gas, musste das Tempo jedoch wieder drosseln. Der Wagen scherte so weit aus, dass sie einen Augenblick lang befürchtete, er würde umstürzen. Dann füllte Finsternis ihr gesamtes Gesichtsfeld.
Máire schaltete ärgerlich die Scheinwerfer wieder ein: Der Geländewagen war wieder eine erstklassige Zielscheibe in der Dunkelheit, aber es ließ sich nicht ändern. Dann fiel ihr das Mobiltelefon ein. Sie griff in ihre Tasche, holte das kleine Motorola heraus und klappte das Display auf.
Kein Netz. Auch das noch.
»Mist!«, rief sie – mit der unbehaglichen Gewissheit, dass sie nicht genug Benzin hatte, um bis nach Savannah zu kommen. Sie steckte das Handy rasch in den Akku, der mit dem Zigarettenanzünder verbunden war, und prüfte erneut, aber es gab auch jetzt kein Netz. Vielleicht hatte das etwas mit dem Unwetter zu tun? Sie wusste es nicht und versuchte, nicht in Panik zu geraten.
Sie legte vorsichtig ihre Hand auf die von C.J. und drückte sie leicht.
C.J. reagierte nicht. Máire warf ihr einen raschen Blick zu. Wie von der Welt vergessen und mit ausdrucksloser Miene saß sie da, die Augen traten aus ihren Höhlen. Aber sie bewegte die Lippen und stöhnte und wimmerte leise.
Máire gab mehr Gas, ohne dem roten Warnlämpchen Beachtung zu schenken, und der Motor beschleunigte. »Er kriegt uns nicht!« Sie sagte das voller Überzeugung, aber in ihr kroch die Furcht hoch, dass sie sich irrte.
Als sie einen Kilometer weit gefahren war, sackte die Frau auf dem Beifahrersitz plötzlich in sich zusammen. Vielleicht schlief sie, vielleicht hatte sie das Bewusstsein verloren. Máire beließ es dabei – sie konnte ohnehin nichts unternehmen. Wollte sie sie retten, brauchte sie Hilfe. Sie probierte wieder ihr Handy. Immer noch keine Netzverbindung. Verdammt noch mal!
Sie blinzelte, damit ihr der Schweiß nicht in die Augen lief, aber die dunklen dichten Eichenbaumreihen zu beiden Seiten des Fahrwegs sahen ohnehin verzerrt und verschwommen aus bei diesem fast biblischen Wolkenbruch, und Máire konnte nichts zwischen ihnen erkennen. Sie schielte in den Rückspiegel und warf sogar einen Blick über die Schulter, denn sie rechnete jeden Augenblick damit, dass ein pfeifendes Projektil durch die Heckscheibe schlagen und eine von ihnen treffen würde.
Máire setzte sich kerzengerade hin. Vielleicht war C.J. von einer Kugel getroffen worden, die die Karosserie durchdrungen hatte? Vielleicht war sie deshalb zusammengesunken?
Sie musterte C.J. verstohlen, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Das hätte sie gehört.
Doch dann geschah das Unglaubliche. Sie konnte gerade das verschwommene Lichtermeer von Savannah in der Ferne erkennen, als der letzte Tropfen Benzin verfahren war und der Motor aufgab.
Máire versuchte, Ruhe zu bewahren, aber sie spürte, dass ihr Herz schmerzhaft in ihrer Brust raste, und sie war kurz davor, in Panik zu verfallen. Jetzt musste sie die restliche Wegstrecke zu Fuß zurücklegen. Noch einmal warf sie einen Blick auf ihr Handy – wieder kein Netz.
Sie betrachtete C.J., die sich ähnlich wie ein Fötus in halb liegender Stellung zusammengekrümmt hatte. Máire versuchte, sie dazu zu bringen sich aufzurichten, aber es gelang ihr nicht. Máire konnte sie auch nicht bis nach Savannah tragen – nicht diesen weiten Weg, das war unmöglich.
C.J. konnte auf keinen Fall länger durchhalten. Sie konnte aber auch nicht im Wagen bleiben. Máire musste einen Platz finden, wo sie sie verstecken konnte, während sie Hilfe suchte.
»Kommen Sie, wir müssen in den Wald!« Máire sah sich um und sprang aus dem Auto. Der Regen prasselte nieder und versetzte ihr Stiche auf der Haut. Sie öffnete die hintere Tür und nahm eine alte Decke heraus, dann lief sie nach vorn, um C.J. aus dem Land Rover zu helfen.
Sie hob die
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