Schlaf, Kindlein, schlaf
Einrichtung ein bisschen erneuern – die Teile des Hauses anders gestalten, denen ein neuer Anstrich gut stehen würde und die einer liebevollen Hand bedurften.
Bald.
Der Gedanke daran ließ beinahe eine leichte Panik in ihr aufsteigen, und sie musste sich selbst eingestehen, dass dieses Projekt trotz allem ziemlich ambitioniert und ein bisschen verfrüht war. Sie konnte sich Luxus und Komfort leisten. Aber sie hatte einfach keine Lust, etwas Neues zu kaufen und die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen.
Sie parkte den Land Rover in der Auffahrt, die unter der mächtigen Baumkrone einer Eiche im Schatten lag, und schaltete das Radio aus. Es regnete noch immer stark, und der Wind heulte wie ein davonrasender Güterzug. Herabgefallene Äste lagen auf den Steinplatten, und während sie überlegte auszusteigen, wehte der Wind eine Topfpflanze von der Veranda. Sonst war alles still. In dem ruhigen Villenviertel war weit und breit niemand zu sehen, und es waren auch keine Autos unterwegs.
Máire drehte sich um und warf einen Blick auf Valerie du Bois’ Haus, dessen regennasse Rasenfläche von einem weißen Zaun eingefasst wurde. Die Fensterläden waren offen, wie immer, wenn Val zu Hause war. Val war Máires beste Freundin; seit zwölf Jahren waren sie unzertrennlich, und ihre Freundschaft bedeutete ihnen sehr viel – besonders seit den letzten drei Jahren, in denen Máire kaum sie selbst gewesen war.
Máire war müde, hungrig und hatte Durst – nicht dass sie bei Val nichts zu essen und zu trinken bekommen würde, aber sie war zu aufgeregt, um Val heute noch zu besuchen. Oder hatte sie Angst? War sie wütend? Stand sie unter Schock? In ihrem Magen rumorte es, als würden darin ein paar hungrige Schlangen gegeneinander kämpfen.
Bisweilen fand Máire Vals selbstsichere Bemerkungen etwas irritierend, und sie war nicht immer in der Stimmung, sie zu kontern.
Sie sah auf die Armbanduhr. Es war kurz nach zehn am Vormittag. Sie stieg aus, schloss ihren Wagen ab und beeilte sich, ins Haus zu kommen.
In der Diele hielt sie inne. Über allem schien Hoffnungslosigkeit zu liegen. Fast zwei Jahre lang wohnte sie nun schon in diesem Haus, und obwohl sie es mit ihren eigenen Möbeln eingerichtet hatte, an denen sie hing und die jetzt ausschließlich ihr gehörten, kam ihr das Haus immer noch so fremd vor wie ein Krater auf einem anderen Planeten. Máire wusste nicht, warum sie überhaupt hier war – abgesehen davon, dass es praktisch war, weil Val genau gegenüber wohnte, was auch der eigentliche Grund dafür war, dass sie hergezogen war –, aber unglücklicherweise bot sich auch keine Alternative. Es gab keinen Ort auf der Welt, an dem sie sich zu Hause fühlte, nicht mal in New Orleans. So erging es wohl den Menschen, für die weder das Leben noch der Tod eine Bedeutung hatten. Trotz alledem war sie, wie jede andere Kreatur auch, mit einem Überlebensinstinkt ausgestattet. Das machte einen mürbe. Die künstlerische Seite in ihr suchte fortwährend nach Form und Sinn, wie auch gerade jetzt. Das kleine, rautenförmige Fenster in der Tür hinter ihr warf ein vom Regen verzerrtes Muster an die Wände, und in dem gespenstischen Spiel von Licht und Schatten flackerten Bruchstücke eines Bildes, das eine verschwommene weiße Wachsmaske zeigte, die den Mund aufriss und schrie.
Máire schauderte, aber nicht wegen des Phantombildes. Das Gefühl von Einsamkeit überwältigte sie, und am liebsten hätte sie die Beine in die Hand genommen und wäre weggerannt, aus dem Haus gestürzt und nur gelaufen – ziellos gelaufen. Aber ihre Vernunft sagte ihr: Egal wie schnell du rennst und wie weit du rennst, du kannst doch nicht vor dir selbst weglaufen. Also kannst du genauso gut stehen bleiben und dich der Situation stellen.
Sie wusste, dass sie lange genug ihrem eigenen Leben zugesehen hatte – ein Leben, das sich anfühlte, als wäre es in der Mitte entzweigebrochen. Die Vergangenheit mit Jesse war der erste Teil, der zweite war die Zukunft, die sie Lichtjahre von Jesse entfernte, von der sie ohnehin nichts erwartete und auf die sie auch keine Lust hatte. Irgendwo in der Gegenwart steckte sie fest in einem Zustand der Verbitterung … oder war es eher Wut?
Sie musste etwas unternehmen … aber was? Unsicher suchte sie nach einer Antwort.
Was? … Waswaswas?
Máire versuchte, den Gedanken daran zu verscheuchen, als Kitty, ihre kleine schwarze Katze, zur Tür hereinspazierte. Sie blieb stehen und betrachtete sie mit ihren
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