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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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nicht mit ihr gesprochen?«
    »Doch, ein bisschen. Ich habe ihr hoch und heilig versprochen, wiederzukommen und ihr zu helfen«, erzählte Máire bitter. Schuldgefühle drückten sie wie ein Paar viel zu kleine Schuhe. »Möge Gott mir vergeben, dass ich stattdessen hier sitze und meine vier Buchstaben …«
    »Was hat Sie zu Ihnen gesagt?«, unterbrach er sie.
    »Sie hatte Angst.«
    »Das hat sie gesagt?«
    »Das wusste sie mit absoluter Sicherheit. Das war ganz eindeutig.«
    »Ja, aber hat sie das auch gesagt?«
    »Sie hat gesagt: Sie kommen, lauf! Außerdem hat sie gesagt, dass sie unter der Erde … eingesperrt gewesen ist.« Máire verzichtete darauf zu erzählen, was C.J. über die Toten gesagt hatte. Das würde nur seine Theorie bestätigen, dass sie nicht ganz dicht war und sich mit irgendeinem Stoff das Hirn weggeputzt hatte.
    »Paranoia tritt auch sehr oft bei Drogenabhängigen auf …«
    Es war, als würde man immer wieder mit dem Kopf gegen eine Marmorplatte rennen. Máire überlegte, ob er das Spektakel hören konnte, das ihr Kopf veranstaltete, bevor er splitterte.
    »Sie war nicht drogenabhängig«, beharrte Máire. Sie merkte, wie ihre Wangen glühten, und versuchte, sich zu zügeln.
    »Gibt es sonst noch etwas, woran Sie sich erinnern oder was Ihnen aufgefallen ist?«
    Máire schüttelte langsam den Kopf. »Nein, ich glaube nicht.«
    »Hatte sie einen Akzent?«
    »Ja, Südstaaten.«
    Bondurant schwieg einen Moment. Dann fragte er: »Würden Sie sie wiedererkennen?«
    »Ja, ganz bestimmt.«
    »Kommen Sie mal hier rüber«, forderte Bondurant sie auf, während er sich erhob, um Máire seinen Platz vor dem Computerbildschirm anzubieten. »Dann fangen wir am besten hier an.«

7
     
    Es regnete noch immer, und diesiges Tageslicht hatte sich in die Nacht eingeschlichen. Im Büro war es still, aber am fernen Horizont grollte der Donner. Es war kurz nach vier. Máire hatte über drei Stunden darauf verwendet, in der Vermisstendatenbank der Polizei zu recherchieren. Zuerst hatte sie nach den Initialen C.J. gesucht, jedoch ohne Erfolg. Danach hatte sie die Suchkriterien erweitert. Damit die Suche nicht zu umfangreich wurde, sah Máire die Frauen durch, die zwischen 1983 und 1990 geboren (heute also ein Alter zwischen achtzehn und fünfundzwanzig hatten) und in den vergangenen fünf Jahren im Bibelgürtel als vermisst gemeldet worden waren – sowohl in den oberen als auch in den unteren Grenzregionen der Südstaaten. Sie sah sich jedes Foto genau an, das auf dem Bildschirm erschien, betrachtete eingehend die Gesichtszüge der Frauen, ihre Augenfarbe, Haarfarbe, ihre Frisur, schrieb sich ihre Geburtsdaten und die Namen auf. Aber es half alles nichts. Keine passte. Es war nur ein endloser Strom fremder Frauengesichter.
    Máire leerte ihren Kaffeebecher, seufzte und schob frustriert den Stuhl vom Tisch zurück. Sie massierte sich den Nacken, kreiste mit dem Kopf und schnitt eine Grimasse. Die nächtlichen Strapazen hatten sie erschöpft, und sie war hundemüde.
    Bondurant steckte den Kopf zur Tür herein und warf ihr einen fragenden Blick zu. »Na, wie kommen Sie voran?«
    Máire erwiderte seinen Blick, legte die Hände auf die Schenkel und schüttelte den Kopf.
    Das Unterfangen war unmöglich. Zu viele Faktoren spielten eine Rolle. Selbst wenn es in der Datenbank ein Bild mit dem Namen C.J. gäbe, könnten ihre Suchkriterien die falschen sein oder C.J. hatte ihr Aussehen so stark verändert, dass Máire sie gar nicht wiedererkennen würde. Außerdem wusste sie nicht, wann C.J. verschwunden war. Sie war seitdem sicher viel dünner geworden oder sogar völlig abgemagert. Ihre Gesichtszüge waren viel markanter, die Schatten unter den Augen dunkler geworden. Sie könnte ihr langes schwarzes Haar zuvor kurz getragen oder die Haarfarbe geändert haben. Das herauszufinden, war unmöglich.
    »Ich denke, wir hören hier mal auf«, sagte Bondurant. Er lächelte und trat ein. Der Duft seines Aftershaves stieg Máire in die Nase. Im Licht der Morgendämmerung wirkte er jünger. Ihr fiel auf, dass sein Haar grau war, und nicht aschblond, wie sie zuvor gedacht hatte. Und seine Augen waren nicht schwarz, sondern braun – cognacfarben. Er sah gut aus, das musste sie zugeben, und sein Lächeln hatte etwas ausgesprochen Verschmitztes.
    »Vielen Dank für Ihre Mühe.«
    »Ja, was für eine Hilfe!«, erwiderte sie bitter und stand auf.
    Bondurant schwieg einen Augenblick. Er musterte sie, als würde er darauf warten, dass sie

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