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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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Rückspiegel: keine Menschenseele weit und breit. Nichts bewegte sich, außer Schatten, und sie begann, sich ein bisschen wie Alice im Wunderland oder die einzige Überlebende des Jüngsten Gerichts zu fühlen. Hier draußen auf dem Land war eine andere Welt – eine Welt, in der Stille und Abgeschiedenheit dominierten, alles lag im Tiefschlaf, der nächste Nachbar wohnte mehrere Kilometer entfernt … und es war ein Leichtes, eine Frau gegen ihren Willen irgendwo gefangen zu halten, ohne dass jemand davon etwas merkte …
    Máire schauderte und strich sich das Haar aus der Stirn.
    Ganz ruhig!
    Die Landschaft wirkte unheimlich, beinahe gruselig, und es schien, als hätte die Wirklichkeit keinen Platz in dieser Atmosphäre. Máire konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sich hier Trolle versteckten und andere seltsame, gefährliche Wesen hinter den Bäumen lauerten, wo die Schatten ihr eigenes Leben lebten. Máire sehnte sich nach den Zerstreuungen der Stadt.
    Die Dämmerung war inzwischen völlig verschwunden, und sie hätte den Ort beinahe übersehen, der gut getarnt zwischen den Bäumen lag. Wenn im ersten Stock kein Licht in den Fenstern gebrannt hätte, wäre sie sicher daran vorbeigefahren.
    Sie bremste abrupt, machte das Radio aus, fuhr ein Stück zurück und kurbelte das Seitenfenster herunter. Die Reifen knirschten unheilvoll auf Kies und abgebrochenen Zweigen, und in der Stille klang es so ähnlich, als hätte jemand ein Klavier fallen lassen.
    Hier stand mitten im Wald ein Plantagenhaus, das früher sicher feudal ausgesehen hatte, jetzt aber verfallen war und abschreckend bedrohlich wirkte. An der Seite vermutete sie eine Doppelgarage, konnte jedoch nicht sehen, ob Autos darin standen.
    Máire hielt den Atem an. Der Ort hatte etwas Gespenstisches an sich und verursachte eine Gänsehaut, sodass sämtliche Alarmglocken schrillten. Das Haus ragte mit seiner schwarzen Silhouette gen Himmel, das dunkle Dach glänzte in der Nacht, als wäre es lebendig. Wind und Wetter hatten ihre Spuren hinterlassen, die graue Farbe blätterte ab, und die Holzfäule hatte schwarze Flecken an der Fassade hinterlassen. Das Haus wirkte, als würde sich in seinem Keller eine Folterkammer verbergen, ein wunderbar versteckter Zufluchtsort für einen Psychopathen. Unwillkürlich fröstelte sie. Vielleicht zog sie vorschnell ihre Schlüsse, aber nach genau so einem Ort suchte sie!
    Und sie spürte mit instinktiver, vollkommen unbegründeter Gewissheit, dass sie hier richtig war, auch wenn es ganz und gar unwahrscheinlich war, C.J. so ohne Weiteres zu finden – falls sie sie überhaupt fand. Auf gut Glück ist besser als nichts, sagte sie sich.
    Máire schaute in jeden Seitenspiegel, wendete ihren Geländewagen und fuhr ein Stück den Weg hinunter. Sie fand eine geeignete Stelle, bog in den Wald und parkte zwischen den Bäumen. Jetzt war ihr Auto vom Weg aus nicht mehr zu sehen. Sie schaltete sicherheitshalber den Alarm aus – würde ein Ast auf die Windschutzscheibe fallen, würde das sicher den Alarm auslösen, und das wäre nicht gerade hilfreich.
    Máire stieg lautlos in die stickige Dunkelheit und schloss ab. Unter den Bäumen ging kein Lüftchen, die Schwüle umfing sie wie ein Teppich, und sie schauderte.
    Gelegentlich war in der Ferne das Zirpen der Zikaden zu hören, sonst war es unheimlich still. Viel zu still! Als hielte die Nacht den Atem an.
    Zwei riesige Eichen, eine an jeder Seite der zugewucherten Auffahrt, dienten als Grundstücksbegrenzung. Dazwischen war eine dicke Kette gespannt, in dessen Mitte ein Emailleschild mit der verblassten Aufschrift Zutritt für Unbefugte verboten baumelte. Máire kniff die Augen zusammen und las den Namen am Briefkasten: M. LeBelle. Sie runzelte die Stirn. Irgendetwas kam ihr an dem Namen entfernt bekannt vor – etwas, was ihr Angst einjagte und einen kalten Schauer den Rücken hinunterschickte. »LeBelle …«, flüsterte sie und lauschte ihrer Stimme und dem Blut, das in ihren Ohren rauschte, doch sie konnte den Namen nicht zuordnen. Sie schüttelte den Kopf. Wer immer das war, die Person wohnte offensichtlich allein und legte großen Wert auf Privatsphäre.
    Das konnte alles und nichts bedeuten.
    Máire schluckte und wurde sich bewusst, dass sie Hals über Kopf in etwas hineingeraten war und nur eine sehr vage Idee hatte, wie sie eigentlich vorgehen sollte. Und sie war schlecht vorbereitet: Sie hatte keine Waffe, nichts, womit sie sich verteidigen konnte, wenn es so weit kommen

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