Schlaf, Kindlein, schlaf
anzuklopfen, öffnete er die Haustür, das Licht von drinnen warf einen gelblichen Schein in die Augustnacht, und sie konnte das Gras erkennen, das ungehindert zwischen Blättern, Papierfetzen, alten Ölfässern und anderem Unrat spross.
Máire duckte blitzschnell den Kopf, ihr Herz pochte, und kalte Schauer liefen ihr den Rücken hinunter. Am Fenster huschte ein Schatten vorbei, und kurz darauf konnte sie in Bruchstücken die aufgebrachte Stimme eines Mannes aus dem Wohnzimmer hören. »Verdammt … dir kommt dein Hirn ja schon zu den Ohren raus … bist du völlig durchgeknallt, Mann?« Sie hörte eine zweite Stimme, entspannt und provozierend: »Darf ich vielleicht erst mal reinkommen?«
Die Situation verlangte ihr sehr viel ab: Sie waren auf der anderen Seite des Fensters, nur wenige Meter von ihr entfernt. Was, wenn es wirklich sie waren?
Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Das offene Fenster hatte etwas Unheimliches an sich – als wäre sie bereits ins Haus, in die privaten vier Wände eingedrungen wie eine Fliege an der Wand, ein ungebetener Gast. Und die drückend schwere Atmosphäre wirkte noch furchterregender.
Über eine Minute saß sie gebückt im Kies und horchte. Sie konnte nicht mehr hören, was sie sagten, denn sie waren in ein angrenzendes Zimmer gegangen, wo sie lautstark stritten, und sie hörte, wie etwas umgestoßen wurde und klirrend zu Bruch ging.
Die Schwüle der Nacht war bis in ihre Knochen gedrungen, und sie sehnte sich nach der Geborgenheit der Stadt. Sie fror, und es kam ihr so vor, als fröstelte und schwitzte sie gleichzeitig. Ihr Herz schlug schneller, und sie hoffte, dass sie es waren, aber andererseits war sie so geschockt von der Vorstellung, sie könnten es tatsächlich sein, dass sie wie gelähmt war. Sie musste sich eingestehen, dass sie nicht wirklich geglaubt hatte, sie würde C.J. finden, und einen Augenblick dachte sie an die Redensart: Pass auf, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen!
Auch wenn sie einerseits am liebsten glauben wollte, dass die Fantasie ihr einen Streich spielte, spürte sie, dass es genügend Gründe gab, Angst zu haben. Wenn sie auf ihre Intuition und ihren sechsten Sinn vertraute.
Der Wunsch, diesen unheimlichen Ort wieder zu verlassen, überwältigte sie, und sie wollte um jeden Preis weg. Sie hasste es, solche Angst zu haben. Aber nicht nur ihr Magen krampfte sich zusammen, auch auf ihre Brust legte sich ein Druck. In gewisser Weise war dies der Anfang der Vollendung ihrer Aufgabe – eine Aufgabe, die ihr Angst und Bange machte, weil sie nicht wusste, wie sie ausgehen würde.
Ungeduldig schüttelte Máire den Kopf und erinnerte sich daran, dass sie C.J. noch nicht gefunden hatte. Bislang hatte sie keinen feuchten Kehricht entdeckt, alles, worauf sie gestoßen war, war ein großes, düsteres und unheimliches Haus. Und zwei Männer, die stritten. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie es waren? Eins zu einer Million? Eins zu zehn Millionen vielleicht. Tatsächlich war es realistischer, dass C.J. für immer verschwunden blieb.
Máire war unentschlossen, dann gewann die Vernunft, und sie schlich sich von dem Haus fort zu ihrem Wagen, und erst als sie auf die geteerte Straße fuhr und ein entgegenkommendes Auto sah, fühlte sie sich wieder sicher.
18
Eine Stunde später lag Máire in dem breiten, gemütlichen Himmelbett in ihrem Hotelzimmer, schlürfte einen Kaffee mit warmer Milch und blätterte in dem örtlichen Telefonbuch, das sie in der Nachttischschublade gefunden hatte.
LeBelle …
Unter LeBelle gab es nur einen Eintrag: LeBelles Bestattungsinstitut und Krematorium, West Hall Street. Ihr Herz begann, schneller zu schlagen, und sie begriff, was sie da las. Dort war ihr der Name schon mal begegnet. Sie griff nach dem Branchenbuch, das ebenfalls im Nachttisch gewesen war, blätterte hektisch, bis sie die Bestattungsinstitute fand, und ließ den Blick die Seite hinunterwandern. Savannah hatte neunundzwanzig Einträge in dieser Branche. Auf der ersten Seite stand Marlon R. LeBelles Bestattungsinstitut und Krematorium, und unter seinem Namen war das Logo abgedruckt – ein Kreuz mit Flügeln, das besser auf den Oberarm eines Rockers als zu einem Bestattungsinstitut passte. Darunter war Der Herr befreie uns von allen Sünden und nehme uns auf in sein Himmelreich zu lesen.
»Marlon LeBelle«, flüsterte Máire in die Stille. Sie klopfte mit dem Bleistift auf ihren Block. Dem Kerl gehörte also ein
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