Schlaf, Kindlein, schlaf
würde. Das Springmesser hatte sie auf ihren Nachttisch im Hotelzimmer gelegt, und ihre körperliche Statur war auch nicht besonders abschreckend.
Bis zum nächsten geöffneten Laden ist es weit, rief sie sich ins Gedächtnis. Und sie hatte Angst. Sie merkte, wie ihre Knie zitterten, und bekam einen trockenen Mund. Wenn sie eine Waffe hätte, bräuchte sie sich nicht so zu fürchten. Das Messer würde sie nicht noch mal vergessen, aber sie verzichtete darauf, sich zu fragen, ob sie überhaupt imstande sein könnte, einen anderen Menschen niederzustechen, falls nötig …
Sie hoffte, dass kein Hund da drinnen war. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Sie stieg über die Kette, hoffte das Beste und machte sich darauf gefasst, die Flucht in die Nacht zu ergreifen, wenn ein Vier- oder Zweibeiner auftauchen sollte. Mit lautem Platschen trat sie in eine tiefe Pfütze. Sie zuckte zusammen, als sie merkte, wie das kalte Wasser in ihren Schuh drang. Sie blieb stehen, hielt den Atem an und lauschte.
Plötzlich war die Nacht voller Geräusche: Knacken und Rascheln und das stete Flüstern des Windes in den Blättern.
Aber keine verdächtigen oder eigenartigen Geräusche. Es deutete auch nichts darauf hin, dass der Hauseigentümer einen Hund hielt. Sie versuchte, die innere Stimme zu ignorieren, die ihr sagte, dass die Aufgabe eines Wachhunds nicht darin bestand, Fremde am Betreten des Grundstücks zu hindern, sondern dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder RAUS kamen.
Alles oder nichts. Nervös und wachsam schlich sie sich in ihren durchnässten Schuhen bis auf den Vorplatz und warf mehrmals einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass niemand hinter ihr war.
Der Boden war matschig, und sie merkte, wie ihre Sohlen Abdrücke hinterließen. Jedes Mal, wenn sie einen Fuß anhob, ertönte ein lautes Schmatzen.
Bottiche, Fässer, Autoreifen, Brombeersträucher, Unkraut und kniehohe Ackerquecke machten sich gegenseitig den Platz vor dem Haus streitig, und die große Fläche an der Seite verlor sich in undurchdringlicher Dunkelheit. Vier riesige Doppelfenster zeigten zur Auffahrt. Máire musste absolut lautlos und sehr vorsichtig sein; die meisten Fenster waren mit einem Maschendraht versehen, die Glasscheiben fehlten ganz oder teilweise, und wenn jemand zu Hause war, würde er sie sicher hören, wenn sie im Gestrüpp umherschlich.
Sie blickte zum Himmel, der noch immer ganz schwach erleuchtet war, und zu den Bäumen, die finster und behäbig in der Nachtluft standen. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie zur Tür gehen, anklopfen und so tun sollte, als hätte sie sich verlaufen und wollte nach dem Weg fragen …
Sie zögerte.
Sie ließ ihren Blick schweifen, zum Balkon hinauf, zur Garage, nach links, nach rechts, wo die Schatten der Eichen das Haus einhüllten und ein Klangspiel unsichtbar und hohl in dem schwachen Wind klirrte.
Dies war ein unbehaglicher Ort, und ihr ungutes Gefühl und die Angst der vergangenen Nacht meldeten sich sofort wieder. Máire war allein, unsicher und fürchtete sich in dieser Sommernacht, die der dunklen, eingeschlossenen Stille einer Grabkammer glich, und ihre Instinkte sagten ihr, dass es das Beste wäre abzuhauen, solange sie noch konnte.
Aber sie musste C.J. finden!
Sie durfte nichts unversucht lassen!
Wie willst du vorgehen?, fragte sie sich. Je länger sie darüber nachdachte, desto absurder erschien ihr das ganze Unterfangen.
Natürlich kannst du so lange hier stehen bleiben, bis die Blätter von den Bäumen fallen! Sie hörte ihren Puls in den Ohren rauschen.
Nach kurzem Zögern nahm sie ihren Mut zusammen und schlich sich behutsam und geräuschlos durch das Gestrüpp bis ans Haus. Grillen zirpten in der Nähe, und sie bemerkte, dass die stickige Luft nach Moschus, Blumenstaub und Schimmel roch.
Wieder warf sie einen Blick über die Schulter und in die wispernde Dunkelheit unter den Bäumen. Da bewegte sich nichts, auch keine schattenhaften Gestalten. Sie war ganz allein. Dachte sie jedenfalls.
Sie reckte den Hals, um durch das verrostete Drahtnetz eines Fensters zu spähen. Sie konnte gedämpfte Stimmen ausmachen, die aus einem Fernseher kamen, und das Aroma von Kaffee und etwas Undefinierbarem, süß Riechendem, das sie im Augenblick nicht genauer einordnen konnte.
Die Fenster waren relativ hoch, und Máire musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um hineinzusehen. Sie blickte in eine große, düstere Stube mit zerschlissenen, altmodischen Möbeln und
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