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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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Schmerz auf. In ihrem Körper pochte es wie in einem entzündeten Zahn.
    Er drückte ein klein wenig fester zu und holte den Gegenstand zum Vorschein, den er in der anderen Hand hielt. In einem kurzen Aufblitzen von Licht erkannte sie, dass er einem Skalpell ähnelte.
    Wieder schüttelte sie den Kopf – oder versuchte es zumindest.
    »Bald sind wir zusammen«, sagte er. In ihrem Schädel klang seine Stimme wie die von Donald Duck mit Erde im Mund.
    Ihr Blickfeld änderte sich und wurde leicht verschwommen. Sein Gesicht wirkte breiter, schwarzes Wasser wogte bis an die Decke und strömte die Wände herab. Sie verlor mehrmals kurzzeitig das Bewusstsein, konnte aber die Worte immer noch von seinen Lippen ablesen: Sag sie mir!
    »FICK DICH!«, schrie sie. Ihre Stimme hallte in dem kalten Raum wider, und sie zitterte am ganzen Körper wie ein Alkoholiker auf Entzug. »Ich weiß, was ich sagen soll.« Sie hustete und heulte hysterisch. »Das gehört zu deiner armseligen Sexfantasie, stimmt’s? Aber ich mach’s nicht. Ich sag’s nicht. Ich hasse dich, du ekliges Schwein!«
    Er lächelte nachsichtig und nickte. Sehr bald schon würde er sie gefügiger machen. Das wusste sie nur noch nicht.
    Jetzt kam die Strafe, das war ihr klar. Aber es war ihr auch gleichgültig. Das hatte jetzt keine Bedeutung mehr. Sie war seit Langem schon tot. Sie konnte ihren eigenen Verwesungsgestank riechen, als würden ihre Innereien bereits verrotten.
    »Du hast schon versucht, mich zu vögeln, Schatz«, sagte er. »Auf deine Weise. Auf die langweilige Art. Jetzt probieren wir’s mal auf meine Art.«
    Sie sah ihn jetzt nicht mehr. Aber das brauchte sie auch nicht, denn sein Gesicht hatte sich wie eine bösartige Kontaktlinse auf ihre Netzhaut gebrannt. Sie wusste nur zu gut, wie er aussah.
    Sie röchelte, stieß ein paar kehlige, belegte Laute hervor und sah aus, als müsste sie sich übergeben oder würde ohnmächtig oder beides. Er ließ ihren Hals sofort los. Dreimal überkam sie der Brechreiz, aber es kam nichts.
    Sicherheitshalber klebte er ihr den Mund mit einem Pflaster zu, trat an das Kopfende und sah ihr prüfend in die aufgerissenen Augen. Sie glichen zwei schwarzen Marmorkugeln. Die Pupillen waren geweitet und füllten fast die gesamte Iris aus. Sie versuchte zu schreien. Ihr Körper wand und krümmte sich vor Schmerz.
    Er summte die Musik mit und begann, ihr langes Haar abzuschneiden.
    »Sehr gut!«, sagte er, als er fertig war. »Das hätten wir.«
    Dann drehte er die Musik leiser.

16
     
    Am Himmel waren schwarze Wolken in Aufruhr, und der Donner kam näher. Máire wurde immer nervöser, je weiter der Tag voranschritt. Um vier Uhr zeigte das Thermometer siebenunddreißig Grad. Und als der dunstige, schwüle Nachmittag seinem Ende zuging, hielt sie den Wagen an, stieg aus, trat in die sengende Hitze und ließ den Blick schweifen. Ihre Augen tränten, während sie festzustellen versuchte, ob es etwas Wichtiges zu entdecken gab. Sie massierte sich die Schläfen, an denen zwei bläuliche Adern schwach pulsierten.
    Der Donner war schwächer geworden, aber der Tag wirkte noch wärmer als zuvor, denn die Schwüle hatte weiter zugenommen. Der Himmel war in ein tiefes Indigoblau getaucht, und die Bäume glichen im letzten Licht der untergehenden Sonne tanzenden Fackeln.
    Máire kniff die Augen zusammen und spähte Richtung Baumstämme, wo der matschige Fahrweg weiter vorn in eine asphaltierte Straße überging, die in den Highway 404 mündete, den sie am Morgen gekommen war. Sie sog die warme, stickige Luft ein paar Mal tief ein.
    Wo bin ich? Sie schüttelte den Kopf und befürchtete, sie würde nie wieder zurückfinden, wenn sie C.J. nicht fand. Wo zum Teufel bin ich?
    »Und wo bist du, C.J.? Wo?«, fragte Máire ins Leere.
    In der Ferne bellte heiser ein Hund, sonst war alles still. Sie hatte sich bemüht, nichts zu übersehen, versucht, durch die Hauswände hindurchzusehen, statt sie anzustarren. Sie war sehr gründlich gewesen. Sie hatte Ausschau gehalten, an den Türen geklingelt und allem und jedem C.J.s Personenbeschreibung gegeben. Sie hatte Grundstück um Grundstück abgeklappert, so gut es ging. Sie war mindestens zehn Kilometer zu Fuß gegangen, war auf den Knien gerutscht wie ein Fährtenleser in einem schlechten Cowboyfilm und hatte in der Erde gewühlt. Sie hatte Keller, Scheunen, Hütten und Wirtschaftsgebäude untersucht und zahllose Zutrittsverbote überschritten. Und trotz ihrer Bemühungen hatte sie keine Spur von

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