Schlaf, Kindlein, schlaf
Notwehr aus nächster Nähe erschossen wurde.
Sie musste es einfach bis nach draußen schaffen.
Sie stand immer noch im Türrahmen, und als die Stille eine Weile angedauert hatte, beugte sie sich vor und warf einen Blick zu beiden Seiten der Tür. Die Finsternis schluckte die Länge des Korridors und die Umrisse der Möbel; es war niemand zu sehen. Sie begann schon fast, sich in der Dunkelheit mit ihren näher rückenden Wänden sicher zu fühlen. Die Dunkelheit war ihr vertraut, aber sie wog sich in einer falschen Sicherheit, das war ihr durchaus klar. Die Schwärze vermittelte einen verräterischen Eindruck. Es war, als würde sie eine Augenbinde tragen. Man wusste nie, wer oder was sich mit dem Mantel der Dunkelheit tarnte – auch wenn sie diesmal eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, um wen es sich handelte. Es war der Teufel selbst.
Mit angehaltenem Atem schob sie sich um den Türpfosten herum und hatte plötzlich die kribbelnde Ahnung, er würde hinter ihr stehen. Sie warf einen raschen Blick über die Schulter, auch wenn die eigene Vernunft ihr sagte, dass er nicht aus dieser Richtung kommen würde. Ihre Intuition schrie ihr förmlich zu, die Beine in die Hand zu nehmen und so schnell wie möglich das Haus zu verlassen.
Ihr Herz pochte, und ihr Mund war so trocken, dass sie nicht schlucken konnte. Nur keine Panik, sagte sie sich. Sie zählte die Sekunden – zwei, sechs, zehn.
Nichts.
Fünfzehn, siebzehn, zwanzig …
Noch immer nichts. Nur Dunkelheit und Schatten. Und eine atemlose unheilvolle Stille.
Máire betrachtete den Boden. Es war nicht einfach, über alte Dielen zu schleichen, ohne dass sie knarrten. Dabei war Lautlosigkeit jetzt das Wichtigste für sie.
Sie traute sich nicht, tat aber trotzdem einen vorsichtigen Schritt und hoffte, dass die verräterischen Dielen nicht laut knarrten, wenn sie das Gewicht verlagerte, und ihr Versteck verrieten.
Sie offenbarten sie nicht – noch nicht.
Sie verzog das Gesicht und machte noch einen Schritt.
Auch jetzt nicht.
Dann noch einen.
Mit gesträubtem Nackenhaar tat sie den dritten. Bestenfalls würde man ein leises Knarzen hören, schlimmstenfalls würde es wie der große Chor der Carmina Burana klingen.
Nach ein paar weiteren lautlosen Schritten erreichte sie die Diele. Sie konnte die Umrisse der hohen weißen Eingangstür erkennen, sie schien nah und war trotzdem unendlich weit weg. Der blasse Mond warf Silberstreifen durch das kleine schmutzige Fenster und schien auf das Mosaik der Bodenfliesen, das sich kunstvoll wiederholte. Der Kronleuchter mit den traubenförmig geschliffenen Steinen funkelte matt und unheimlich.
Sie zögerte, blickte zu Boden. Ihr Herz raste. Sie musste es riskieren. Es war gefährlich, das wusste sie, aber was sollte sie sonst tun? Sie könnte wie eine Salzsäule stehen bleiben und warten, bis ihr die Haare ausfielen … oder bis er sie entdeckte. Sie würde nicht allein mit ihm fertig werden. Sie hatte zwar das Messer, aber es gab ihr in dieser Situation keine Sicherheit; sie wusste nicht, wie man nötigenfalls damit umging. Nicht die beste Ausgangslage, auch wenn sie sich sicher war, dass sie im Extremfall davon Gebrauch machen würde.
Während sie ihre Lage überdachte, warf sie einen Blick über die Schulter.
Niemand.
Und dennoch beschlich sie das Gefühl, dass sie jemand aus der Dunkelheit anstarrte – einer, der so still war wie die Toten und nur darauf wartete, dass sie sich verriet.
Ihr Blick wanderte wieder Richtung Boden. Ihr war vorhin schon aufgefallen, dass mehrere Mosaikfliesen locker waren oder komplett fehlten, und sie entschied, dass es das Beste war, die Schuhe stehen zu lassen.
Flink schlüpfte sie aus ihren Sandalen und hörte ein leises Scharren – so leise, dass sie es fast unbewusst wahrnahm. Sie ging jetzt schneller. Die Fliesen waren eiskalt, aber davon spürte sie nichts. Die Angst drohte sie zu übermannen. Sie schlotterte am ganzen Leib und unterdrückte den Impuls wegzurennen. Von Panik erfüllt, wurde sie beinahe von einer Hysteriewelle erfasst. Nein. Würde sie jetzt panisch werden, wäre Valerie verloren. Sie konnte Valerie nicht im Stich lassen.
Dann hörte sie wieder ein Geräusch: einen raschelnden, tickenden Laut wie von einer Marionettenpuppe, die, zum Leben erweckt, einen Two-Step tanzte. Sie begann zu zweifeln. Vielleicht war er gar nicht im Kaminzimmer, sondern ganz woanders. Sie konnte nicht ausmachen, woher das Geräusch kam.
Máire sah sich um, ihr Blick zuckte
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