Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
bedrohlichen anonymen Anruf von einem Mann bekommen hatte, dessen Worte eigentlich eher fürsorglich klangen. Wissen Sie nicht, dass es gefährlich ist, das Haus nicht abzuschließen? Man weiß nie, wer vorbeikommt. Träumen Sie süß, Terry. Und passen Sie gut auf sich auf .
Klar, das würde die Polizei garantiert auf den Plan rufen.
Ich legte wieder auf, ließ mich auf den Küchenstuhl fallen und überlegte, was zu tun war. Sollte ich trotzdem die Polizei anrufen und ihren Spott oder, schlimmer noch, ihre
Gleichgültigkeit ertragen? Wenn ich nur etwas Konkretes vorweisen könnte, um zu beweisen, dass ich nicht irgendeine einsame Frau mittleren Alters mit einer zu lebhaften Fantasie und zu viel Zeit war. Wenn ich mir über die Identität des Anrufers nur gewisser wäre.
Ich spulte die Worte im Kopf zurück wie eine Tonbandaufnahme. Träumen Sie süß, Terry. Und passen Sie gut auf sich auf . Auch wenn der Anrufer mir irgendwie bekannt vorkam, war ich mir eben nicht sicher, dass es Ericas Motorrad-Freund gewesen war, den ich im Elwood’s mit Lance hatte reden sehen, beide mit einem Gesichtsausdruck, der auf etwas weit Ernsteres als ein gemeinsames Interesse an Motorrädern hingedeutet hatte. Gab es irgendeine Verbindung zwischen den beiden Männern? Oder zwischen Lance und Erica? Oder zwischen Erica und Alison?
Was zum Teufel ging hier vor?
Und dann sah ich ihn.
Er stand vor dem Küchenfenster, die Stirn an die Scheibe gepresst, sein rotes Stirnband wie eine Blutspur auf dem Glas.
»O mein Gott.«
Und dann verschwand das Bild wieder, so schnell, wie es aufgetaucht war, von der Nacht verschluckt, aufgesaugt wie ein Klecks von einem Löschblatt.
Hatte ich tatsächlich jemanden gesehen?
Ich stürzte ans Fenster und spähte in die Dunkelheit.
Ich sah nichts.
Niemanden.
Ich kramte in der Küchenschublade nach den Ersatzschlüsseln für das Gartenhaus. Du bist ein dummes, dummes Mädchen , ermahnte meine Mutter mich, und ich musste ihr ausnahmsweise einmal Recht geben. Doch ich brauchte Antworten, und diese Antworten ließen sich vielleicht in Alisons Tagebuch finden. Ich schätzte, dass ich noch mindestens
eine halbe Stunde Zeit hatte, bis sie und ihr Bruder heimkehrten. Mir blieb also mehr als genug Zeit, wenn ich mich beeilte.
Den Schlüssel umklammert, stieß ich die Tür auf und trat in die Dunkelheit. Meine nackten Füße schlüpften in die Abendluft wie in ein Paar Pantoffeln.
»Bist du verrückt? Was hast du vor?«, murmelte ich, als ich die Tür hinter mir abschloss und mit ausgestreckter Hand, den Schlüssel auf das Schloss gerichtet, losmarschierte. Ich hatte die Tür fast erreicht, als ich hinter mir ein Knacken hörte.
Mir stockte der Atem. Ich drehte mich blitzschnell um.
»N’Abend«, sagte eine körperlose Stimme aus der Dunkelheit, und langsam, beinahe wie von Zauberhand tauchte ein Mann aus dem Nichts auf und nahm in meinem Garten Gestalt an. Aufreizend bedächtig trat er ins Schlaglicht des Mondes. Er war groß, schlank und glatt rasiert, kein zotteliger Bart, kein rotes Stirnband. »Erinnern Sie sich noch an mich?«
»K.C.«, flüsterte ich.
»Die Abkürzung von Kenneth Charles, aber so nennt mich … ach, was soll’s, das wissen Sie ja.«
»Was machen Sie hier?«
»Ich wollte Alison besuchen.«
»Sie ist nicht zu Hause.«
»Ach ja? Und wohin wollen Sie dann?«
Ich schob den Schlüssel in die Tasche meines Bademantels und fragte mich, ob er es bemerkt hatte. »Ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört. Ich wollte mich bloß vergewissern, dass alles in Ordnung ist.« Ich fragte mich, warum ich mir die Mühe machte, einem praktisch Fremden meine Motive zu erklären.
»Das war wahrscheinlich bloß ich.«
»Haben Sie mich gerade angerufen?«, fragte ich schärfer als beabsichtigt.
K.C. zückte ein Handy und lächelte träge. »Hätte ich das tun sollen?«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Nein, ich habe Sie nicht angerufen.« Er kniff die Augen zusammen. »Alles okay mit Ihnen?«
»Mir geht es bestens.«
»Sie wirken ein wenig überreizt.«
»Nein«, sagte ich und gähnte betont. »Ich bin bloß ein bisschen müde. War ein anstrengender Tag.« Ich blickte zu Boden, und dabei fiel mir auf, dass mein Bademantel sich geöffnet hatte. Ich zog die beiden Seiten rasch wieder zu und ignorierte das breiter werdende Grinsen in K.C.s Gesicht. »Ich sage Alison, dass Sie hier waren.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, warte ich, glaube ich, lieber, bis sie
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