Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Anerkennung. Es tat ihr nicht gut, so exponiert in der Öffentlichkeit zu stehen. Sanna spürte ihr schlechtes Gewissen. Irgendwie glaubte sie, es Dani Simons schuldig zu sein, die Wahrheit zu sagen.
»Du hast ja recht. Aber ich muss das einfach tun, verstehst du? Ich brauch den Tapetenwechsel. Sonst ersticke ich. Meine Familie, die Stadt … ach, einfach alles. Ich muss hier weg.«
Dani sah sie verständnislos an. Offenbar wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte.
»Ich hab das Gefühl, dass alles schiefläuft«, erklärte Sanna. »Ich brauch Luft zum Atmen. Veränderung.« Sie fixierte Dani. »Kennst du so was nicht? Hast du dir nie gewünscht, einfach abzuhauen und alles hinter dir zu lassen?«
»Doch, schon. Aber …« Ihr Blick wurde leer. Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. »Du meinst … das alles hier?«
Dani konnte es anscheinend nicht begreifen. Sie waren hier schließlich im Zentrum des Universums. Hier waren die Reichen und Schönen. Hier war Dani Simons, die von allen geliebt wurde. Selbst die Trainer waren hier begehrt. Wer konnte sich schon mit so einem Leben schmücken?
Sanna strich ihr über den Arm und lächelte.
»Komm, was hältst du davon, wenn wir zum Abschluss noch eine Entspannungsübung machen? Und dann gehst du unter die Dusche, ja?«
Auf dem Weg zum Parkhaus durchquerte Sanna die Lobby. Der Empfangstresen war verwaist. Sie beschleunigte ihren Schritt. Wenn sie es jetzt schnell zum Fahrstuhl schaffte, würde vielleicht keiner mehr auftauchen. Es funktionierte. Sie drückte den Knopf, die Türen schlossen sich und das Fitnessstudio verschwand aus ihrem Blickfeld. Aus ihrem Leben. Endlich.
Auf dem Parkdeck sprühte Regen zwischen den Betonplatten der offenen Fassade herein. Ein kalter Wind ging. Seit Wochen war das schon so, vom Sommer nichts zu spüren. Wobei sie hier in Berlin noch Glück hatten. Im Westen sah es schlimmer aus. Da gab es Menschen, die mit Schlauchboten zu ihren Häusern fuhren, die Bilder liefen den ganzen Tag im Fernsehen.
Sie entriegelte den BMW ihres Freunds und warf die Sporttasche hinein. Ein sündhaft teurer Sportwagen, den Vincent sich von einer Erbschaft gekauft hatte. Sein großer Traum war damit in Erfüllung gegangen. Doch Sanna hatte keine Ahnung, wie man so viel Geld für ein Auto ausgeben konnte.
»Und was ist mit deinem Freund?«, hatte Dani Simons gefragt. »Wie hieß der noch mal …«
»Vincent«, sagte Sanna.
»Vincent, genau. Bleibt der in Berlin? Oder zieht er auch nach Ostwestfalen?«
»Nein, er … Also erst mal werden wir wohl eine Wochenendbeziehung führen.«
Danis Blick sprach Bände.
»Er kommt aber nach«, sagte Sanna eilig. »Er will sich einen Job suchen. Natürlich, sonst würde ich doch nicht gehen.«
Eine Notlüge. Sanna wollte das Thema lieber nicht vertiefen. Vincent hatte sie genauso angeschwindelt: »Ich kann nicht mehr als Personal Trainer arbeiten, Vincent. Ich ertrage das nicht länger. Die ganzen gelangweilten Ehefrauen, die das Geld ihrer Männer ausgeben. Verstehst du das nicht? Ich will etwas Sinnvolles tun.«
Über die wahren Gründe hatte sie nicht mit ihm reden können. Vincent und sie waren erst seit zwei Jahren ein Paar. Er kannte die Sanna nicht, die sie früher gewesen war. Die fröhliche und unbeschwerte Sanna, die es seit Kroatien nicht mehr gab.
Zu ihrem Erstaunen hatte Vincent ganz verzweifelt gewirkt. »Aber wie geht es mit uns weiter, Sanna? Was wird aus uns , wenn du fünfhundert Kilometer entfernt von hier arbeitest?«
»Es ist doch nur vorübergehend. Ich will sehen, wie mir die Arbeit gefällt. Dann kann ich immer noch so was in der Art in Berlin suchen.«
Aber das war natürlich Unsinn. Sie wollte gar nicht zurückkommen. Als sie den Entschluss gefasst hatte, fortzugehen, war ihr bewusst geworden, wie wenig es ihr ausmachte, Vincent zurückzulassen. Im Gegenteil. Die Vorstellung hatte beinahe etwas Befreiendes. Als wäre er ein Symbol für das, was nach Kroatien gewesen war. Für die eingefrorene Zeit. Es war ungerecht ihm gegenüber, natürlich, aber am liebsten hätte sie Vincent auch einfach zurückgelassen.
Sanna verstaute die Sportsachen auf dem Rücksitz und setzte sich hinters Steuer. Sie dachte an Bernd, ihren ersten Freund, mit dem sie damals zusammen gewesen war. An sein Gesicht, als er zu ihr in das Totenzimmer trat. Er hatte seinen Urlaub am Atlantik abgebrochen, um bei ihr zu sein. War braun gebrannt, trug Shorts und Lederbänder, die weizenblonden Haare waren von
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