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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Schleier zu vertreiben, schoss mir ein stechender Schmerz durch den Schädelansatz. Ich stöhnte, presste die Augen zusammen und griff instinktiv nach oben, um den Schmerz zu lindern … und merkte da erst, dass ich die Hand nicht bewegen konnte. Ich öffnete die Augen, schaute an mir hinunter und sah, dass ich auf einem Stuhl mit senkrechter Lehne saß, die Arme hinter dem Rücken gefesselt und die Füße eng an die Stuhlbeine geknüpft.
    Für ein, zwei Sekunden versuchte ich vergeblich, die Hände und Füße zu befreien, doch das einzige Ergebnis war, dass mir ein weiterer Schmerz durch den Kopf jagte und ich aufschrie wie ein kleines Kind.
    »Scheiße«, flüsterte ich und schloss die Augen wieder. »Verdammte Scheiße …«
    »Ist nur ein Instrument, John«, hörte ich Bishop sagen.
    Ich zwang mich, die Augen zu öffnen und ihn anzusehen. »Was?«
    »Schmerz«, sagte er. »Er ist nichts anderes als ein Warninstrument, eine evolutionäre Entwicklung, die dazu dient, die Blutbahnen zu schützen. Der Schmerz sagt dir, wenn Adern zerstört sind oder ihnen Zerstörung droht. Und falls nötig kann sich die Ader dann selbst abschalten – oder die relevanten Abschnitte –, um repariert zu werden.« Er zuckte die Schultern. »Ich für meinen Teil finde ja, dass ein System mit Warnleuchten viel effizienter wäre. Allerdings würde es auch wesentlich weniger Spaß machen. Und Scheiße verdammt, wer bin ich, mich gegen den Evolutionsprozess aufzulehnen?«
    Ich sagte nichts.
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete.
    Und was viel wichtiger war: Der rote Schleier hatte sich inzwischen aus meinen Augen verzogen und ich war viel zu sehr damit beschäftigt, Bridget anzustarren, als dass ich zuhören konnte, was Bishop sagte. Sie saß hinter ihm auf dem Fußboden, die Hände an einen schweren Heizkörper aus Messing gefesselt. Ihr Kiefer war rot und geschwollen, das Gesicht weiß vor Schock und sie weinte – die Tränen rannen ihr still übers Gesicht. Ich warf einen Blick zu Walter hinüber, der tot am Boden lag. Das Blut auf seinem gespaltenen Schädel trocknete bereits und haftete dunkel und klebrig in seinem Fell.
    »Bridget?«, sagte ich und schaute zu ihr hinüber. »Hör zu … Bridget?«
    »Keine Chance«, sagte Bishop.
    Ich sah ihn an. »Was ist?«
    »Sie kann nicht antworten.«
    »Wieso nicht?«
    Er sah über die Schulter zu Bridget. »Wir haben eine Abmachung, nicht?«
    Bridget starrte zu ihm zurück, ihre Augen glühten vor Hass und Angst.
    Bishop lächelte sie an, dann wandte er sich wieder mir zu. »Solange sie keinen Mucks sagt, geh ich nicht zu ihr und schneide ihr die Zunge raus. Das ist die Abmachung.« Er fasste nach unten und hob ein Messer hoch, das auf einem Tisch neben dem Sessel lag. »Und so weit scheint es ja ganz gut zu klappen.«
    Ich starrte ihn an und wusste nur zu genau, dass er meinte, was er sagte – wenn Bridget sprach, würde er tatsächlich zu ihr hingehen und ihr die Zunge herausschneiden. Und es würde ihm nicht das Geringste ausmachen. Dieser Mann … dieser Mann in mittleren Jahren, der da ganz ruhig vor mir saß – ein Bild der Banalität in seinem grünen Pullover mit V-Ausschnitt, dem billigen Hemd und dem Schlips, der Nylonjacke, der beigen Baumwollhose – dieser Mann war ein Psychopath, ein Sadist, ein eiskalter Mörder.
    »Wie sind Sie hier reingekommen?«, fragte ich ihn.
    »Ich bin ein Geist, John.« Er grinste. »Ich kann durch Wände schweben.«
    »Was wollen Sie?«
    »Was ich will?«, gab er die Frage zurück und zuckte erneut mit den Schultern. »Nichts weiter als jeder andere auch … Wohlgefühl, Glück, die Erfüllung meiner Bedürfnisse und Wünsche … Essen, Wasser, ein Dach über dem Kopf … Überleben.«
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte ich.
    »Du hast meine Sachen durchwühlt«, antwortete er, während er das Messer behutsam auf den Tisch zurücklegte. »Meine persönlichen Dinge …« Er schüttelte den Kopf. »Das hättest du nicht tun sollen.«
    Ich sah jetzt, dass auch meine Pistole auf dem Tisch lag. Und daneben eine Axt mit kurzem Stiel, die Schneide mit Blut beschmiert, das von Walter stammen musste. Außerdem lagen noch zwei Handys auf dem Tisch – meines und Bridgets –, beide zerlegt, die SIM-Karten entfernt und in der Mitte zerknickt. Ich warf einen schnellen Blick durchs Zimmer, um nach einem Festnetztelefon zu suchen. Ich entdeckte es rechts an der Wand, aber Bishop hatte sich auch darum gekümmert – die Kabel waren herausgerissen und

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