Schlafende Geister
Sicherung los und steckte die Waffe ein.
Ich sah die beiden Männer auf der anderen Straßenseite in dem Moment, als ich das Gebäude verließ. Sie standen im Schatten eines Ladeneingangs, die Gesichter von der Dunkelheit verdeckt, sodass ich zuerst nicht wusste, wer sie waren. Doch als ich die Tür schloss und auf den Gehweg trat, kamen sie aus dem Schatten und überquerten die Straße in meine Richtung, und im orangefarbenen Schein einer Straßenlampe konnte ich ihre Gesichter relativ deutlich erkennen. Der Mann rechts war ungefähr so alt wie ich. Stämmig, dunkelhäutig, mit einer Wollmütze auf dem Kopf … ich hatte ihn noch nie gesehen. Aber den andern erkannte ich. Ich erinnerte mich an sein knallhartes Gesicht aus dem körnigen Video, das Leon Mercer mir gezeigt hatte, und als ich einen Blick auf seine Hand warf und den silbernen Schädelring an seinem Zeigefinger entdeckte, war jeder Irrtum ausgeschlossen. Es war Les Gillard. Der Mann, der mich zusammengeschlagen hatte, der Mann, der Cal fast zu Tode geprügelt hatte …
Ich schob meine Hand in die Tasche und griff nach der Pistole.
Gillard und der andere hatten mich jetzt fast erreicht. Der andere schaute sich im Gehen um, blickte die Straße rauf und runter, kontrollierte, dass auch keine Zeugen da waren, aber Gillard hielt den Blick auf mich fixiert. Er nahm keine Pose ein. Er versuchte nicht, hart und bedrohlich zu wirken. Er war einfach fest entschlossen, das zu tun, was er vorhatte. Aber was immer das sein mochte – mich zu verhaften, mich zu verletzen, mich zu töten –, ich hatte nicht vor, es geschehen zu lassen.
Ich wartete, bis beide Männer noch etwa drei Schritte von mir entfernt waren, dann zog ich die Waffe aus der Tasche, richtete sie auf Gillards Knie und drückte ab.
Der scharfe Knall des Schusses hallte dumpf durch die leeren Straßen und ich sah, wie Gillards Bein zurückzuckte. Er taumelte mit einem merkwürdigen Hüpfer zur Seite, stieß einen leisen, schmerzerfüllten Atemzug aus, fiel zu Boden und umklammerte sein zerschmettertes Knie.
Während er stöhnend und fluchend auf der Straße lag, stand der andere nur wie erstarrt da und ließ den Blick panisch zwischen Gillard und mir hin und her springen.
»Hey«, sagte ich und sah ihn an.
Er starrte mit weit aufgerissenen Augen in meine Richtung.
»Mach schon«, sagte ich. »Verpiss dich.«
Er zögerte einen Moment, warf wieder einen Blick auf Gillard, doch dann lief er los und rannte, so schnell er konnte, die Straße hoch.
Ich wartete, bis er nicht mehr zu sehen war, dann steckte ich die Pistole wieder ein, trat um Gillard herum und ging zurück zu dem Kombi.
30
Es war kurz vor Mitternacht, als wir die Tierhandlung erreichten. Wir hatten den Kombi in einer Seitenstraße abgestellt, waren eine Weile im Kreis gelaufen, und als wir schließlich durch eine enge, kopfsteingepflasterte Gasse gingen, die zur Market Street führte, war ich mir relativ sicher, dass wir nicht verfolgt wurden.
Auf der Market Street war alles still.
Niemand war zu sehen.
Während Bridget die Tür zu der Tierhandlung aufschloss, schaute ich noch mal die Straße rauf und runter, aber es war nirgends ein Lebenszeichen zu sehen. In der Ferne hörte ich die Sirene eines Krankenwagens. Sie kam näher, in unsere Richtung, und ich nahm an, dass der Wagen in die Wyre Street fuhr.
»Alles okay?«, fragte Bridget.
Ich sah sie an. Sie hatte aufgeschlossen und wollte gerade hinein.
»Warte«, sagte ich. »Lass Walter vorgehen.«
Sie öffnete die Tür und ließ Walter rein. Wir warteten einen Moment, aber Walter gab keinen Laut von sich, und als er zum Eingang zurückgetrottet kam, die Gazette vom Fußboden aufhob, und schwanzwedelnd mit der Zeitung im Maul vor uns stand, ging ich davon aus, dass es sicher war reinzugehen.
Bridget nahm ihm die Zeitung aus dem Maul und wir traten ein. Es war dunkel, aber im Licht der Straßenbeleuchtung, das von außen durch den Eingang fiel, konnten wir sehen, dass alles völlig normal schien – die Aquarien blubberten sanft vor sich hin, die Hamster huschten umher und die Mäuse nagten leise an irgendwelchen Papprollen.
»Gibt es einen Hinterausgang?«, fragte ich Bridget, als sie die Tür hinter uns abschloss.
»Ja, aber den benutzen wir nie. Der ist total verriegelt.«
»Ich schau trotzdem mal nach.«
»Er ist hinter dem Lagerraum«, sagte sie, »den kleinen Flur entlang links.«
Ich schaltete meine Taschenlampe ein und ging durch den Lagerraum auf den
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