Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
Flur. Die Hintertür war ein solides Teil, abgesperrt und oben und unten mit Riegeln gesichert. An den Spinnweben beim Türrahmen sah ich, dass sie seit Jahren nicht geöffnet worden war. Ich ging den Flur zurück und stieß auf Bridget, die gerade in den Lagerraum kam.
    »Schau dir das an«, sagte sie und reichte mir die Gazette .
    Ein Foto auf der Titelseite zeigte, wie ich dem Reporter meinen Ellenbogen ins Gesicht stieß. Hinter mir – etwas weiter weg, aber deutlich zu erkennen – stand Bridget. Die Schlagzeile lautete: STACYS MANN SCHLÄGT UM SICH , darunter stand in etwas kleineren Lettern: Verletzter Fotograf lässt Anzeige fallen.
    »Scheiße«, sagte ich und fing an, den Artikel zu lesen.
    »Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt Licht mache?«, fragte mich Bridget.
    »Spricht nichts dagegen.«
    Als sie das Licht anmachte und die Treppe hinauf zur Wohnung wollte, trottete Walter an ihr vorbei und hopste bis zum oberen Absatz. »Komm, John«, sagte Bridget. »Das kannst du doch später lesen. Ist sowieso nur der übliche Zeitungsdreck.«
    Sie hatte recht, der Artikel gab größtenteils bloß den üblichen Müll wieder. Trotzdem las ich weiter, während ich ihr die Treppe hinauf folgte. Als ich zum dritten Absatz in dem Artikel kam und sah, dass der Reporter Bridgets vollen Namen und den Laden, in dem sie arbeitete, nannte, war mir erst gar nicht klar, was das hieß. Ich vergeudete wertvolle Sekunden damit, auf der Treppe stehen zu bleiben, um den Absatz noch einmal zu lesen, schüttelte wütend den Kopf und fluchte leise. Erst dann wurde mir klar: Wenn Ray Bishop das gelesen hatte, wusste er nicht nur über Bridget und mich Bescheid, sondern auch über die Tierhandlung …
    Ich schaute nach oben und sah, dass Bridget den Flur erreicht hatte und gerade die Wohnzimmertür öffnen wollte.
    »Bridget!« , rief ich. »Warte! Geh nicht rein …«
    Aber es war zu spät. Sie war gerade dabei, die Tür zu öffnen. Als sie meine Stimme hörte, blieb sie stehen, drehte sich um und sah mich an, doch Walter war bereits durch den Türspalt geschlüpft, und während ich wiederholte: »Geh nicht ins Wohnzimmer!« , hörten wir beide das erschrockene Bellen, direkt gefolgt von einem gedämpften Schlag und einem kurzen, mitleiderregenden Aufjaulen. Bridget zögerte nicht, sondern stieß die Tür auf und stürmte hinein, und mir war klar, dass ich nichts tun konnte, um sie zurückzuhalten.
    »Bridget!«, schrie ich und zog die Pistole aus der Tasche, während ich die Treppe hinaufsprang. »Bridget!«
    Ich hörte noch einen dumpfen Schlag aus dem Zimmer und dann ein schwereres Geräusch – das Geräusch eines Körpers, der zu Boden stürzt. Und in dem Moment hätte ich aufhören müssen … ich hätte aufhören müssen, nach oben zu rennen, aufhören müssen zu schreien, aufhören müssen auszurasten. Aber das konnte ich nicht. Meine Gedanken waren zurückgesprungen zu einem heißen Sommertag vor siebzehn Jahren und ich rannte wieder die Treppe hoch und mein Herz pochte und ich schrie lauthals: »Stacy! STACY! STACY!«, und die ganze Welt brummte in meinem Schädel, als ich über den Flur lief und durch die offene Tür krachte, und da war sie …
    Bridget.
    Nicht Stacy.
    Bridget.
    Sie lag auf dem Boden, direkt rechts neben der Tür. Ihre Augen waren geschlossen und sie blutete aus dem Mundwinkel. Ein paar Zentimeter hinter ihr lag Walter auf der Seite, niedergestreckt vor der Wand. Die Schädeldecke war gespalten, eine knochenweiße Furche zeigte sich unter dem blutigen Fell und die starrenden Augen waren leblos und stumpf.
    Ich sah das alles in einem zeitlosen Moment.
    Unmittelbar bevor mein Kopf explodierte.
    Und dann gab es nichts mehr.
     

31
    Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich erst nur einen blutroten Schleier. Ich überlegte für einen Moment, ob mich der Schlag, der mich am Hinterkopf erwischt hatte, blind gemacht haben konnte. Doch nach einigen Sekunden lichtete sich langsam der Schleier vor den Augen und jetzt sah ich nichts als den entwaffnenden Gleichmut in Ray Bishops Gesicht. Bishop saß in einem Sessel vor mir – die Beine übereinandergeschlagen, die Arme im Schoß verschränkt – und es kam mir so vor, als ob er schon eine ganze Weile so dasaß, mich ansah, musterte, studierte. In seinen schiefergrauen Augen lag keine Emotion, nur ein Anflug unbeteiligter Neugier, wie bei einem Wissenschaftler, der einen Käfer betrachtet.
    Mein Blick verschwamm wieder, und als ich den Kopf schüttelte, um den

Weitere Kostenlose Bücher