Schlaflos in Seoul
Mal.«
Ich fand Joes Analyse der koreanischen Blind-Date-Kultur logisch, aber auch auf eine verstörende Weise geschäftsmäßig berechnend.
Ein paar Tage später fragte ich meine kanadische Mitbewohnerin Sheila, ob sie schon einmal auf einem Blind Date gewesen war.
»Nein. Aber meine koreanischen Freundinnen raten mir immer, es einmal auszuprobieren. Sie sagen, selbst wenn es langweilig
ist, bekommt man zumindest ein kostenloses Abendessen.« Das bestätigte Joes These – offenbar waren Blind Dates in Korea wirklich
ein Geschäft, für die Männer ein schlechtes, für die Mädchen ein gutes. »Aber koreanische Männer interessieren mich sowieso
nicht mehr«, fuhr Sheila fort, »das muss ich mir nicht noch einmal antun.« Sheila hatte in Japan studiert, ging dann aber
sowohl wegen ihrer wissenschaftlichen Arbeit als auch wegen ihres damaligen koreanischen Freundes nach Seoul. Kurz nach ihrer
Ankunft trennte sich ihr Freund von ihr, weil ihm seine Mutter – ohne Sheila auch nur zu kennen – verbot, weiterhin »eine
schmutzige Ausländerin« zu treffen. Seitdem war Sheila nicht allzu gut auf koreanische Männer und deren Mütter zu sprechen.
Blind Dates sind in Korea nicht nur ein Geschäft, sondern auch eine Art Volkssport – das fand ich heraus, als ich eines Abends
mit Joe in einem schicken italienischen Restaurant saß. Ich erzählte ihm eine komplizierte Geschichte, der er anscheinend
schon länger nicht mehr folgte, denn er lachte und grinste an Stellen, die überhaupt nicht komisch waren.
»Hörst du mir überhaupt noch zu?«, fragte ich ihn.
»Stör mich jetzt nicht. Es ist gerade so lustig.« Offenbar verfolgte er die Unterhaltung am Nebentisch. Ich drehte mich um
und sah einen nicht gerade attraktiven jungen Koreaner mit einer deutlich besser aussehenden jungen Dame beim Abendessen.
Der junge Mann überschüttete sie mit einem Wortschwall |50| , während sie nur einsilbig antwortete. »Sieh jetzt nicht hin, sonst merken sie noch, dass ich zuhöre,« sagte Joe.
»Über was reden sie denn?«
»Erzähle ich dir später.«
Wir beendeten unser Abendessen schweigsam, während Joe sich still amüsierte. Als wir das Restaurant verließen, konnte Joe
nicht länger an sich halten und lachte laut los: »So ein Idiot! Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so schlecht darin ist.«
»Schlecht worin?«
»Na, in Blind Dates.« Ich kannte zwar Menschen, die schlecht in Mathematik oder schlecht in Sport waren, aber von jemandem,
der »schlecht in Blind Dates« war, hatte ich noch nicht gehört.
»Wie kann man denn schlecht in Blind Dates sein?«
»Wie der Typ schon aussah! Und dann hat er ihr auch noch erzählt, dass er sich so viele Gedanken über sein Outfit gemacht
hat. Er hat sich drei Mal umgezogen und hat seine Mutter und seine Großmutter um Rat gefragt. So etwas erzählt man doch nicht
auf einem Blind Date!«
Offenbar gibt es feste Spielregeln, an die man sich zu halten hat, sonst wird man disqualifiziert – wie bei jedem anderen
Sport. Ich hatte den Eindruck, dass Blind Dates neben Fußball, Baseball und Taekwondo – den anderen Lieblingssportarten der
Koreaner – ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft sind.
Auch an der Ewha-Universität hielt man offenbar das gesellschaftliche Phänomen der Blind Dates für so bedeutend, dass es zum
Gegenstand unserer Sprachausbildung wurde. Eigentlich sollten wir im Unterricht Personenbeschreibungen üben und dabei möglichst
viele Adjektive für äußerliche Merkmale und Charaktereigenschaften benutzen. Wir machten eine Übung, in der ein Dialogpartner
den anderen bat, ein Blind Date für ihn zu arrangieren. Die Lehrerin fragte, wer schon einmal auf einem Blind Date gewesen
war. Alle Japanerinnen meldeten sich. Kein westlicher Ausländer hob die Hand.
|51| Einige der japanischen Sprachschülerinnen kamen nur ins Land, um koreanische Männer kennenzulernen. Viele koreanische Schauspieler
sind aufgrund von Filmen und Seifenopern, die in mehreren asiatischen Ländern ausgestrahlt werden, panasiatische Superstars.
Diese schönen Männer aus dem Fernsehen prägen das Image der koreanischen Männer im asiatischen Ausland so stark, dass sie
zu den begehrenswertesten Junggesellen Asiens avancierten. Manche japanische Austauschstudentin war aber ziemlich enttäuscht,
wenn sie vor Ort die Diskrepanz zwischen Fernsehen und Realität entdecken musste.
Die Unterrichtsstunde über Blind Dates gehörte sicher zu den
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