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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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40   000   Euro. In Korea ist es unüblich, Haushalts- oder Einrichtungsgegenstände zu verschenken. Normalerweise gibt man am Eingang
     der Hochzeitshalle einen Umschlag mit Geld ab. Die meisten Gäste geben 50   000   Won, umgerechnet etwa 50   Euro, Studenten ein bisschen weniger, sehr vermögende Gäste ein bisschen mehr.
    Ein Verwandter zählt und verwaltet das Geld und notiert genau, wer wie viel gegeben hat. Wer bei der Hochzeit eines Freundes
     eine bestimmte Summe Geld gegeben hat, kann relativ sicher sein, dass er später bei der eigenen Hochzeit genauso viel zurückbekommen
     wird. Bei koreanischen Hochzeiten geht es vor allem ums Geben und Nehmen. Je mehr Gäste kommen, desto mehr Geld kann man einnehmen.
    Viele Gäste bedeuten zudem ein hohes Prestige für den Gastgeber. Viele Freunde und Bekannte zu haben gilt als wichtig. |57| Das führt so weit, dass ab und zu im Internet Anzeigen auftauchen, in denen Hochzeitsgäste gesucht werden, manchmal auch Schauspieler,
     die Familienmitglieder darstellen sollen. Diese Jobs sind meist sehr gut bezahlt. Ausländer sind besonders gefragt, weil sie
     den Gastgebern ein kultiviertes, weltgewandtes Image verleihen.
    Als ich auf die Hochzeit von Joes Schwester ging, wusste ich von alldem nichts. Ich war etwas nervös, weil ich mir den Ablauf
     der Feierlichkeiten nicht so recht vorstellen konnte. In den Büchern über Korea, die ich gelesen hatte, fand sich wenig zum
     Thema Hochzeit. Koreaner feiern mehrmals im Jahr Valentinstag, mögen Geschenke, die auf der feinen Linie zwischen »niedlich«
     und »Kitsch« balancieren und haben eine Vorstellung von Romantik, die im Wesentlichen von amerikanischen Filmen und Serien
     geprägt ist. Im Vergleich zu mir und meinem deutschen Pragmatismus schienen die meisten Koreaner, die ich kannte, um einiges
     romantischer zu sein. Ich nahm also an, dass koreanische Hochzeiten von Hollywoodfilmen inspirierte, bombastische Feste mit
     viel rosa Zuckerguss sein würden. Lange hatte ich überlegt, was ich anziehen sollte. Ich hatte gelesen, dass schwarze oder
     dunkle Kleidung angemessen sei. Da in Deutschland nach Trauerkleidung aussehende Garderobe bei einer Hochzeit als unpassend
     gilt, zögerte ich und entschied mich schließlich für ein Kleid aus dünnem, schwarzem Stoff mit einem apricotfarbenen Unterkleid
     und einer apricotfarbenen Schleife um die Taille. Ich mochte das Kleid, weil es ein bisschen wie Audrey Hepburns in ›Frühstück
     bei Tiffany‹ aussah.
    Da mir nicht klar war, dass man in Korea normalerweise nur Geldgeschenke macht, hatte ich kurz vor meiner Abreise aus Berlin
     in einem Antiquitätenladen am Kollwitzplatz eine kleine Lithographie gekauft. Sie stammte aus dem Jahr 1892 und zeigte das
     Brandenburger Tor. Aus Platzgründen konnte ich keinen Rahmen mitbringen. In meiner ersten Woche in |58| Seoul ging ich mit meiner Lithographie unter dem Arm in das Galerieviertel Insadong und suchte dort nach Rahmen und Passepartout.
     Ich fand einen Laden, der sich »Rodin« nannte – dem Besitzer war offenbar entgangen, dass Rodin-Skulpturen ohne Rahmen auskommen.
     Die drei jungen Koreaner, die dort arbeiteten, waren aber sehr professionell. Ich hatte gerade erst mit dem Koreanischunterricht
     angefangen und sprach entsprechend schlecht koreanisch. Ich legte die Lithographie auf den Tisch und sagte: »Ich habe ein
     Bild. Ich brauche einen Rahmen.« Der junge Koreaner, der sich meiner angenommen hatte, verkniff sich das Lachen und passte
     geschickt ein Passepartout an. Er sah sofort, dass zu der vergilbten Lithographie ein messingfarbener Rahmen am besten passen
     würde. Er bot mir drei zur Auswahl an. Ich nahm den schlichtesten, der mir besser gefiel als die verschnörkelten Varianten.
     Irgendwie verständigten wir uns darauf, dass ich die gerahmte Lithographie eine Woche später abholen konnte.
    Das Bild war so schön, dass ich es am liebsten selbst behalten hätte. Letztendlich packte ich es aber doch in rotgoldenes
     Geschenkpapier ein, kaufte eine Glückwunschkarte und beriet mich mit einer koreanischen Freundin, was ich daraufschreiben
     sollte. Ich schrieb auf Koreanisch: »Ich hoffe, ihr werdet glücklich« – und fügte, weil die Karte so leer aussah, noch einen
     Gruß auf Englisch hinzu.
    Als ich zwanzig Minuten zu früh mit meinem Geschenk in der Hochzeitshalle eintraf, wurde mir erst bewusst, dass ich die Einzige
     war, die mit solch einem Geschenk kam. Mir fiel auch auf, dass ich overdressed

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